Moritz kennt, mit zwei weißen Rosen und zwei Knospen. Varnhagen schickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie den Sommer, Ernestinchen? Erinnert bongue bongue an mich. Künftig mehr.
R.
An Varnhagen, in Berlin.
Wien, Sonntag Abend 11 Uhr den 11. Juni 1815.
So müde ich auch bin, so soll doch dieser Tag nicht hin- gehen, ohne daß ich etwas für dich aufschreibe, herzgeliebter Freund, an den ich so viel denke. Eben geht Wiesel weg: der mir treu Gesellschaft leisten wollte; und mir unendlich viel vordozirte; aber alles sehr gut gemeint, also nahm ich's wie- der sehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa- gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet- ten da war, und so gingen wir den weiten Weg, bis hierher; weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend! Mit Mondessichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden Häusern, Baumespracht; Venussternen. An dich dacht' ich: an wen du denkst wußt' ich. Die Kühlung grüßt' ich, ihr dankt' ich für dich! Und sehnender, vernichteter ging ich ein- her, als ich es nur irgend vorher sah! Wie ein ausgenom- menes Nest ist es mir im Herzen, und doch so fest zwischen den Rippen. Doch sei getrost. Deine Liebe zieht meine so aus dem Herzen dir nach; und es ist ein Glück, das sollst du
Moritz kennt, mit zwei weißen Roſen und zwei Knoſpen. Varnhagen ſchickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie den Sommer, Erneſtinchen? Erinnert bongue bongue an mich. Künftig mehr.
R.
An Varnhagen, in Berlin.
Wien, Sonntag Abend 11 Uhr den 11. Juni 1815.
So müde ich auch bin, ſo ſoll doch dieſer Tag nicht hin- gehen, ohne daß ich etwas für dich aufſchreibe, herzgeliebter Freund, an den ich ſo viel denke. Eben geht Wieſel weg: der mir treu Geſellſchaft leiſten wollte; und mir unendlich viel vordozirte; aber alles ſehr gut gemeint, alſo nahm ich’s wie- der ſehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa- gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet- ten da war, und ſo gingen wir den weiten Weg, bis hierher; weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend! Mit Mondesſichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden Häuſern, Baumespracht; Venusſternen. An dich dacht’ ich: an wen du denkſt wußt’ ich. Die Kühlung grüßt’ ich, ihr dankt’ ich für dich! Und ſehnender, vernichteter ging ich ein- her, als ich es nur irgend vorher ſah! Wie ein ausgenom- menes Neſt iſt es mir im Herzen, und doch ſo feſt zwiſchen den Rippen. Doch ſei getroſt. Deine Liebe zieht meine ſo aus dem Herzen dir nach; und es iſt ein Glück, das ſollſt du
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Moritz kennt, mit zwei weißen Roſen und zwei Knoſpen.
Varnhagen ſchickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer
Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie
den Sommer, Erneſtinchen? Erinnert bongue bongue an mich.
Künftig mehr.
R.
An Varnhagen, in Berlin.
Wien, Sonntag Abend 11 Uhr den 11. Juni 1815.
So müde ich auch bin, ſo ſoll doch dieſer Tag nicht hin-
gehen, ohne daß ich etwas für dich aufſchreibe, herzgeliebter
Freund, an den ich ſo viel denke. Eben geht Wieſel weg:
der mir treu Geſellſchaft leiſten wollte; und mir unendlich viel
vordozirte; aber alles ſehr gut gemeint, alſo nahm ich’s wie-
der ſehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa-
gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im
Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet-
ten da war, und ſo gingen wir den weiten Weg, bis hierher;
weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend!
Mit Mondesſichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden
Häuſern, Baumespracht; Venusſternen. An dich dacht’ ich:
an wen du denkſt wußt’ ich. Die Kühlung grüßt’ ich, ihr
dankt’ ich für dich! Und ſehnender, vernichteter ging ich ein-
her, als ich es nur irgend vorher ſah! Wie ein ausgenom-
menes Neſt iſt es mir im Herzen, und doch ſo feſt zwiſchen den
Rippen. Doch ſei getroſt. Deine Liebe zieht meine ſo aus
dem Herzen dir nach; und es iſt ein Glück, das ſollſt du
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/295>, abgerufen am 21.11.2024.
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