Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sem Gesichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir!
Freilich muß ich mit dir strenger und härter sein, als mit
Allen: von dir ganz allein fordert' und erwartet' ich; und
thu es noch.

Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden
Müdigkeit, mußt' ich dir noch heute sagen. Sonst verliere
ich die Worte, die tiefste Stimmung wieder. Als ich ganz
müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute
fürchtete -- ich sollte ihr Geheimrath Wolf zitiren lassen, kam
meine älteste Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich
weinte langsam immer fort, in des Mädchens Gegenwart,
nämlich mein Herz und meine Augen. Doch sprach ich oft,
und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz
schweigen muß, ist das das Höchste. Minna kam Gottlob
nicht, und so konnt' ich Wolf auch weglassen. Schlaf recht
wohl! -- Die blinden rohen Leute! -- mir geschähe das bei
einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele
hätte! -- mich unweiblich zu finden: ist das weiblich, sich
auf Menschen und Schicksal ohne Wahl wie auf ein Lot-
terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder
Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie
erlaubst du deinen Menschen sich zu versperren! ganz
klein, ganz klein! Nun fällt's mir erst wieder ein! Dein
Brief an Josephinen ließ mir mich wieder sehen, wie eine
Todte, ein Geist ohne Blut und Leben, der neben seinem
an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große
Natur! ist es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je-
mand zu fassen, in einen Begriff, als wir es auszusprechen

ſem Geſichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir!
Freilich muß ich mit dir ſtrenger und härter ſein, als mit
Allen: von dir ganz allein fordert’ und erwartet’ ich; und
thu es noch.

Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden
Müdigkeit, mußt’ ich dir noch heute ſagen. Sonſt verliere
ich die Worte, die tiefſte Stimmung wieder. Als ich ganz
müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute
fürchtete — ich ſollte ihr Geheimrath Wolf zitiren laſſen, kam
meine älteſte Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich
weinte langſam immer fort, in des Mädchens Gegenwart,
nämlich mein Herz und meine Augen. Doch ſprach ich oft,
und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz
ſchweigen muß, iſt das das Höchſte. Minna kam Gottlob
nicht, und ſo konnt’ ich Wolf auch weglaſſen. Schlaf recht
wohl! — Die blinden rohen Leute! — mir geſchähe das bei
einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele
hätte! — mich unweiblich zu finden: iſt das weiblich, ſich
auf Menſchen und Schickſal ohne Wahl wie auf ein Lot-
terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder
Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie
erlaubſt du deinen Menſchen ſich zu verſperren! ganz
klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erſt wieder ein! Dein
Brief an Joſephinen ließ mir mich wieder ſehen, wie eine
Todte, ein Geiſt ohne Blut und Leben, der neben ſeinem
an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große
Natur! iſt es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je-
mand zu faſſen, in einen Begriff, als wir es auszuſprechen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0030" n="22"/>
&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunkt, mein geliebter Freund, <hi rendition="#g">verzeih</hi> mir!<lb/>
Freilich muß ich mit dir &#x017F;trenger und härter &#x017F;ein, als mit<lb/>
Allen: von dir ganz allein fordert&#x2019; und erwartet&#x2019; ich; und<lb/>
thu es noch.</p><lb/>
            <p>Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner <hi rendition="#g">hinz</hi>ufallenden<lb/>
Müdigkeit, mußt&#x2019; ich dir noch heute &#x017F;agen. Son&#x017F;t verliere<lb/>
ich die Worte, die tief&#x017F;te Stimmung wieder. Als ich ganz<lb/>
müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute<lb/>
fürchtete &#x2014; ich &#x017F;ollte ihr Geheimrath Wolf zitiren la&#x017F;&#x017F;en, kam<lb/>
meine älte&#x017F;te Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich<lb/>
weinte lang&#x017F;am immer fort, in des Mädchens Gegenwart,<lb/>
nämlich mein Herz und meine Augen. Doch &#x017F;prach ich oft,<lb/>
und reichlich, und unterhaltend: wenn ich <hi rendition="#g">manchm</hi>al <hi rendition="#g">ganz</hi><lb/>
&#x017F;chweigen muß, i&#x017F;t das das Höch&#x017F;te. Minna kam Gottlob<lb/>
nicht, und &#x017F;o konnt&#x2019; ich Wolf auch wegla&#x017F;&#x017F;en. Schlaf recht<lb/>
wohl! &#x2014; Die blinden rohen Leute! &#x2014; mir ge&#x017F;chähe das bei<lb/>
einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele<lb/>
hätte! &#x2014; mich unweiblich zu finden: i&#x017F;t <hi rendition="#g">das</hi> weiblich, &#x017F;ich<lb/>
auf Men&#x017F;chen und Schick&#x017F;al ohne Wahl wie auf ein Lot-<lb/>
terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder<lb/>
Kour annehmen? Große Natur, <hi rendition="#g">allmächtiger</hi> Gott! wie<lb/>
erlaub&#x017F;t du deinen Men&#x017F;chen &#x017F;ich zu ver&#x017F;perren! <hi rendition="#g">ganz</hi><lb/>
klein, ganz klein! Nun fällt&#x2019;s mir er&#x017F;t wieder ein! Dein<lb/>
Brief an Jo&#x017F;ephinen ließ mir mich wieder &#x017F;ehen, wie eine<lb/>
Todte, ein Gei&#x017F;t ohne Blut und Leben, der neben &#x017F;einem<lb/>
an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große<lb/>
Natur! i&#x017F;t es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je-<lb/>
mand zu fa&#x017F;&#x017F;en, in einen Begriff, als wir es auszu&#x017F;prechen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0030] ſem Geſichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir! Freilich muß ich mit dir ſtrenger und härter ſein, als mit Allen: von dir ganz allein fordert’ und erwartet’ ich; und thu es noch. Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden Müdigkeit, mußt’ ich dir noch heute ſagen. Sonſt verliere ich die Worte, die tiefſte Stimmung wieder. Als ich ganz müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute fürchtete — ich ſollte ihr Geheimrath Wolf zitiren laſſen, kam meine älteſte Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich weinte langſam immer fort, in des Mädchens Gegenwart, nämlich mein Herz und meine Augen. Doch ſprach ich oft, und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz ſchweigen muß, iſt das das Höchſte. Minna kam Gottlob nicht, und ſo konnt’ ich Wolf auch weglaſſen. Schlaf recht wohl! — Die blinden rohen Leute! — mir geſchähe das bei einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele hätte! — mich unweiblich zu finden: iſt das weiblich, ſich auf Menſchen und Schickſal ohne Wahl wie auf ein Lot- terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie erlaubſt du deinen Menſchen ſich zu verſperren! ganz klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erſt wieder ein! Dein Brief an Joſephinen ließ mir mich wieder ſehen, wie eine Todte, ein Geiſt ohne Blut und Leben, der neben ſeinem an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große Natur! iſt es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je- mand zu faſſen, in einen Begriff, als wir es auszuſprechen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/30
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/30>, abgerufen am 23.11.2024.