unsern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht sind die Jetten weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar- tier, in einem niedrigen Hause, meine Wohnstube nach der Allee, wo das Komödienhaus steht, mein Schlafzimmer nach einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen aß ich, sehr gut, und bequem: schlief zu Hause, und fuhr um 5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus; als ich hinab kam, saß noch ein Herr im Wagen; ich glaube Weiland stellten sie ihn mir vor; ein Klavierspieler, der alles liest, weiß, gereist ist; kurz, ein gebildeter, neumodischer Mensch, der so viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; sehr dem Prinzen ähnlich mit den ausgestochenen Augen, dessen Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man's nicht anmerkt. Er spricht sehr gut. Wir fahren zu einem herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend, durch Weingefilde, im köstlichsten gesündesten Wetter (wie es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forsthause, wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde spaziren; wir treten endlich aus dem Wald, sehen eine weite schöne Wiese, am Ende ein hellbeschienen Dorf. Der Herr fragt, ob wir das sehen wollen. Ich sage, die Sonne sei zu stark, lie- ber später; er sagt, es ist Niederrad, das Dorf, wovon Goethe so viel schreibt, wo er immer mit seinen jungen Freunden hin- ging. Dann wollen wir durch die Sonne, sag' ich: und Schauder grieselt mir über die Backen. Getrost, fröhlich, ja zerstreut im Gespräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie
unſern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht ſind die Jetten weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar- tier, in einem niedrigen Hauſe, meine Wohnſtube nach der Allee, wo das Komödienhaus ſteht, mein Schlafzimmer nach einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen aß ich, ſehr gut, und bequem: ſchlief zu Hauſe, und fuhr um 5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus; als ich hinab kam, ſaß noch ein Herr im Wagen; ich glaube Weiland ſtellten ſie ihn mir vor; ein Klavierſpieler, der alles lieſt, weiß, gereiſt iſt; kurz, ein gebildeter, neumodiſcher Menſch, der ſo viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; ſehr dem Prinzen ähnlich mit den ausgeſtochenen Augen, deſſen Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man’s nicht anmerkt. Er ſpricht ſehr gut. Wir fahren zu einem herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend, durch Weingefilde, im köſtlichſten geſündeſten Wetter (wie es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forſthauſe, wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde ſpaziren; wir treten endlich aus dem Wald, ſehen eine weite ſchöne Wieſe, am Ende ein hellbeſchienen Dorf. Der Herr fragt, ob wir das ſehen wollen. Ich ſage, die Sonne ſei zu ſtark, lie- ber ſpäter; er ſagt, es iſt Niederrad, das Dorf, wovon Goethe ſo viel ſchreibt, wo er immer mit ſeinen jungen Freunden hin- ging. Dann wollen wir durch die Sonne, ſag’ ich: und Schauder grieſelt mir über die Backen. Getroſt, fröhlich, ja zerſtreut im Geſpräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie
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unſern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht ſind die Jetten
weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar-
tier, in einem niedrigen Hauſe, meine Wohnſtube nach der
Allee, wo das Komödienhaus ſteht, mein Schlafzimmer nach
einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins
im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen
aß ich, ſehr gut, und bequem: ſchlief zu Hauſe, und fuhr um
5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus;
als ich hinab kam, ſaß noch ein Herr im Wagen; ich glaube
Weiland ſtellten ſie ihn mir vor; ein Klavierſpieler, der alles
lieſt, weiß, gereiſt iſt; kurz, ein gebildeter, neumodiſcher Menſch,
der ſo viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; ſehr
dem Prinzen ähnlich mit den ausgeſtochenen Augen, deſſen
Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man’s
nicht anmerkt. Er ſpricht ſehr gut. Wir fahren zu einem
herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main
vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend,
durch Weingefilde, im köſtlichſten geſündeſten Wetter (wie
es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forſthauſe,
wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde ſpaziren;
wir treten endlich aus dem Wald, ſehen eine weite ſchöne
Wieſe, am Ende ein hellbeſchienen Dorf. Der Herr fragt, ob
wir das ſehen wollen. Ich ſage, die Sonne ſei zu ſtark, lie-
ber ſpäter; er ſagt, es iſt Niederrad, das Dorf, wovon Goethe
ſo viel ſchreibt, wo er immer mit ſeinen jungen Freunden hin-
ging. Dann wollen wir durch die Sonne, ſag’ ich: und
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zerſtreut im Geſpräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/323>, abgerufen am 22.11.2024.
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