lese, viel nach. Und sehe in allem, was Menschen wirklich mitzubereiten im Stande sind, nur das Eine: daß Weniges in der Natur gelingt, und sich nach ihrer wahren Absicht aus- bildet; so auch in des Menschen Natur; Alle sollten selbst- ständig und selbstdenkend, daher sehend und erfindend, sein, das ist ihr natürlicher Zustand. Aber der ist so verweset und verwirrt, daß die, welche naturgemäß sind, Ausnahmen machen, und Genies sein müssen, oder genannt werden, und alle Andern in trübem Dasein denen alles auf eine Weile nachmachen; immer wenn es schon unzeitig ist, also verkehrt. Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe's Buch her- vor; dies nennt man beständig fort die alte und die neue Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm, albern, dünkelhaft-stolz übertragen wollte: denn in der gan- zen Weltgeschichte wirkten und sahen nur, die groß, die frisch wirkten und sahen, und belebt: und die belebten.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Mittwoch, den 30. August 1815.
-- Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe, und da erbot sich dann Otterstedt wieder, er wolle hin, und ihn schaffen; welches ich verbat; er sollte ihn nur wissen las- sen, wer es war, der ihm in Niederrad nachschrie. Frau von Schlosser meinte, ich solle nur grade mit Otterstedts zum Kom- merzienrath -- der ein preußischer ist -- Willemer hinfahren, und dort die Damen besuchen! Das fehlte mir! -- Das alles
leſe, viel nach. Und ſehe in allem, was Menſchen wirklich mitzubereiten im Stande ſind, nur das Eine: daß Weniges in der Natur gelingt, und ſich nach ihrer wahren Abſicht aus- bildet; ſo auch in des Menſchen Natur; Alle ſollten ſelbſt- ſtändig und ſelbſtdenkend, daher ſehend und erfindend, ſein, das iſt ihr natürlicher Zuſtand. Aber der iſt ſo verweſet und verwirrt, daß die, welche naturgemäß ſind, Ausnahmen machen, und Genies ſein müſſen, oder genannt werden, und alle Andern in trübem Daſein denen alles auf eine Weile nachmachen; immer wenn es ſchon unzeitig iſt, alſo verkehrt. Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe’s Buch her- vor; dies nennt man beſtändig fort die alte und die neue Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm, albern, dünkelhaft-ſtolz übertragen wollte: denn in der gan- zen Weltgeſchichte wirkten und ſahen nur, die groß, die friſch wirkten und ſahen, und belebt: und die belebten.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Mittwoch, den 30. Auguſt 1815.
— Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe, und da erbot ſich dann Otterſtedt wieder, er wolle hin, und ihn ſchaffen; welches ich verbat; er ſollte ihn nur wiſſen laſ- ſen, wer es war, der ihm in Niederrad nachſchrie. Frau von Schloſſer meinte, ich ſolle nur grade mit Otterſtedts zum Kom- merzienrath — der ein preußiſcher iſt — Willemer hinfahren, und dort die Damen beſuchen! Das fehlte mir! — Das alles
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leſe, viel nach. Und ſehe in allem, was Menſchen wirklich
mitzubereiten im Stande ſind, nur das Eine: daß Weniges
in der Natur gelingt, und ſich nach ihrer wahren Abſicht aus-
bildet; ſo auch in des Menſchen Natur; Alle ſollten ſelbſt-
ſtändig und ſelbſtdenkend, daher ſehend und erfindend, ſein,
das iſt ihr natürlicher Zuſtand. Aber der iſt ſo verweſet
und verwirrt, daß die, welche naturgemäß ſind, Ausnahmen
machen, und Genies ſein müſſen, oder genannt werden, und
alle Andern in trübem Daſein denen alles auf eine Weile
nachmachen; immer wenn es ſchon unzeitig iſt, alſo verkehrt.
Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe’s Buch her-
vor; dies nennt man beſtändig fort die alte und die neue
Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm,
albern, dünkelhaft-ſtolz übertragen wollte: denn in der gan-
zen Weltgeſchichte wirkten und ſahen nur, die groß, die friſch
wirkten und ſahen, und belebt: und die belebten.
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Mittwoch, den 30. Auguſt 1815.
— Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe,
und da erbot ſich dann Otterſtedt wieder, er wolle hin, und
ihn ſchaffen; welches ich verbat; er ſollte ihn nur wiſſen laſ-
ſen, wer es war, der ihm in Niederrad nachſchrie. Frau von
Schloſſer meinte, ich ſolle nur grade mit Otterſtedts zum Kom-
merzienrath — der ein preußiſcher iſt — Willemer hinfahren,
und dort die Damen beſuchen! Das fehlte mir! — Das alles
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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