Herzen zusehen können, hätte man; in ächter, rother durch- sichtiger Gluth nahm ich ohne Rückhalt, ohne Vorbedacht al- les unschuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg- net. Angeschrieen, überschrieen, beseitigt, unberücksichtigt, die ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht einmal nennen. Gott selbst hörte mich nicht. Er wollte es so: und ich habe mich auch schon längere Zeit unterworfen. Sei auch nachsichtig, August, wenn du jene Frische oft nicht findest, die Einem Glück konservirt, oder Untugend, und eitle Gedankenlosigkeit, loser Geiz, der an die wahre Herzenskammer nie anfordert. Goethe sagt so schön in seinem Leben, bei Gele- genheit der Katastrophe mit Gretchen: die Knaben- und Jüng- lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es bedurfte längerer Zeit, -- so ungefähr -- eh Neues sich erzeugen konnte: dies ist der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß. Mir brachen Eltern, Geschwister, Freunde und Freundinnen, und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus. Ich schwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und dachte es müßte so sein. Hielt ewig mich für ungraziös, und das so intim, so gewiß, daß ich's nicht einmal sagte, da doch, meiner Meinung nach, mir niemand auf solche Klage zu ant- worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl, noch in der Überlegung. Ein schönes Schicksal hatte ich nicht; aber gottgesegnet war ich doch; es war immer Feiertag in mir. Mit all diesem wollte ich dir nur zu ermessen geben, wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erscheinen und sein mußt: und ob ich dir erwiedere, dich erkenne! Aber
auch
Herzen zuſehen können, hätte man; in ächter, rother durch- ſichtiger Gluth nahm ich ohne Rückhalt, ohne Vorbedacht al- les unſchuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg- net. Angeſchrieen, überſchrieen, beſeitigt, unberückſichtigt, die ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht einmal nennen. Gott ſelbſt hörte mich nicht. Er wollte es ſo: und ich habe mich auch ſchon längere Zeit unterworfen. Sei auch nachſichtig, Auguſt, wenn du jene Friſche oft nicht findeſt, die Einem Glück konſervirt, oder Untugend, und eitle Gedankenloſigkeit, loſer Geiz, der an die wahre Herzenskammer nie anfordert. Goethe ſagt ſo ſchön in ſeinem Leben, bei Gele- genheit der Kataſtrophe mit Gretchen: die Knaben- und Jüng- lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es bedurfte längerer Zeit, — ſo ungefähr — eh Neues ſich erzeugen konnte: dies iſt der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß. Mir brachen Eltern, Geſchwiſter, Freunde und Freundinnen, und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus. Ich ſchwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und dachte es müßte ſo ſein. Hielt ewig mich für ungraziös, und das ſo intim, ſo gewiß, daß ich’s nicht einmal ſagte, da doch, meiner Meinung nach, mir niemand auf ſolche Klage zu ant- worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl, noch in der Überlegung. Ein ſchönes Schickſal hatte ich nicht; aber gottgeſegnet war ich doch; es war immer Feiertag in mir. Mit all dieſem wollte ich dir nur zu ermeſſen geben, wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erſcheinen und ſein mußt: und ob ich dir erwiedere, dich erkenne! Aber
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Herzen zuſehen können, hätte man; in ächter, rother durch-
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les unſchuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg-
net. Angeſchrieen, überſchrieen, beſeitigt, unberückſichtigt, die
ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht
einmal nennen. Gott ſelbſt hörte mich nicht. Er wollte es
ſo: und ich habe mich auch ſchon längere Zeit unterworfen.
Sei auch nachſichtig, Auguſt, wenn du jene Friſche oft nicht
findeſt, die Einem Glück konſervirt, oder Untugend, und eitle
Gedankenloſigkeit, loſer Geiz, der an die wahre Herzenskammer
nie anfordert. Goethe ſagt ſo ſchön in ſeinem Leben, bei Gele-
genheit der Kataſtrophe mit Gretchen: die Knaben- und Jüng-
lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es bedurfte
längerer Zeit, — ſo ungefähr — eh Neues ſich erzeugen konnte:
dies iſt der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß.
Mir brachen Eltern, Geſchwiſter, Freunde und Freundinnen,
und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus.
Ich ſchwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und
dachte es müßte ſo ſein. Hielt ewig mich für ungraziös, und
das ſo intim, ſo gewiß, daß ich’s nicht einmal ſagte, da doch,
meiner Meinung nach, mir niemand auf ſolche Klage zu ant-
worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer
Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl,
noch in der Überlegung. Ein ſchönes Schickſal hatte ich nicht;
aber gottgeſegnet war ich doch; es war immer Feiertag in
mir. Mit all dieſem wollte ich dir nur zu ermeſſen geben,
wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erſcheinen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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