Wie es kommt, ist es beinah immer besser, als wenn es kommt wie wir es wünschen; im ersten Fall halten wir uns, mit der Zeit, an dem, was er noch Gutes mit sich führt und entwik- kelt; im andern müssen wir das Üble, welches unvermeidlich daran erwächst, später verschlucken, und mißkennen und miß- deuten dann unsern natürlichen Wunsch selbst. Wir Menschen haben das Nachsehen und das Nachdenken; die Welt geht ihren Gang. Mit diesem Gedanken kann ich ich Sie nicht verschonen, lieber Troxler; er verfolgt mich selbst seit einiger Zeit, als ein Riesenresultat, welches mir immer wieder vortritt, ich mag den Weg gesucht haben, wie ich will. Im Winter kauert man über sich selbst und denkt nach, weil man nichts sieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünscht man sich gütige eifrige Diskutir-Freunde, lustige einfallreiche Gesellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu sagen, daß Sie mir eine erwünschte Gesellschaft wären, nachsichtig sind Sie obenein, und widersprechen doch hübsch, Ich hoffe der Som- mer führt uns zusammen! Was machen die kleinen Schwei- zerchen? Sie wissen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für die Kinder ist mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz- lichsten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie wohl!
Ihre Fr. V.
An Auguste Brede, in Stuttgart.
Frankfurt a. M., den 22. December 1815.
Da übermorgen Heiligabend ist, so hoffe ich soll dieser Brief grade eintreffen, und Sie schön von mir grüßen! Mir
Wie es kommt, iſt es beinah immer beſſer, als wenn es kommt wie wir es wünſchen; im erſten Fall halten wir uns, mit der Zeit, an dem, was er noch Gutes mit ſich führt und entwik- kelt; im andern müſſen wir das Üble, welches unvermeidlich daran erwächſt, ſpäter verſchlucken, und mißkennen und miß- deuten dann unſern natürlichen Wunſch ſelbſt. Wir Menſchen haben das Nachſehen und das Nachdenken; die Welt geht ihren Gang. Mit dieſem Gedanken kann ich ich Sie nicht verſchonen, lieber Troxler; er verfolgt mich ſelbſt ſeit einiger Zeit, als ein Rieſenreſultat, welches mir immer wieder vortritt, ich mag den Weg geſucht haben, wie ich will. Im Winter kauert man über ſich ſelbſt und denkt nach, weil man nichts ſieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünſcht man ſich gütige eifrige Diskutir-Freunde, luſtige einfallreiche Geſellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu ſagen, daß Sie mir eine erwünſchte Geſellſchaft wären, nachſichtig ſind Sie obenein, und widerſprechen doch hübſch, Ich hoffe der Som- mer führt uns zuſammen! Was machen die kleinen Schwei- zerchen? Sie wiſſen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für die Kinder iſt mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz- lichſten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie wohl!
Ihre Fr. V.
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Frankfurt a. M., den 22. December 1815.
Da übermorgen Heiligabend iſt, ſo hoffe ich ſoll dieſer Brief grade eintreffen, und Sie ſchön von mir grüßen! Mir
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Wie es kommt, iſt es beinah immer beſſer, als wenn es kommt
wie wir es wünſchen; im erſten Fall halten wir uns, mit der
Zeit, an dem, was er noch Gutes mit ſich führt und entwik-
kelt; im andern müſſen wir das Üble, welches unvermeidlich
daran erwächſt, ſpäter verſchlucken, und mißkennen und miß-
deuten dann unſern natürlichen Wunſch ſelbſt. Wir Menſchen
haben das Nachſehen und das Nachdenken; die Welt geht
ihren Gang. Mit dieſem Gedanken kann ich ich Sie nicht
verſchonen, lieber Troxler; er verfolgt mich ſelbſt ſeit einiger
Zeit, als ein Rieſenreſultat, welches mir immer wieder vortritt,
ich mag den Weg geſucht haben, wie ich will. Im Winter
kauert man über ſich ſelbſt und denkt nach, weil man nichts
ſieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünſcht
man ſich gütige eifrige Diskutir-Freunde, luſtige einfallreiche
Geſellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu ſagen, daß Sie
mir eine erwünſchte Geſellſchaft wären, nachſichtig ſind Sie
obenein, und widerſprechen doch hübſch, Ich hoffe der Som-
mer führt uns zuſammen! Was machen die kleinen Schwei-
zerchen? Sie wiſſen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für
die Kinder iſt mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz-
lichſten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie
wohl!
Ihre Fr. V.
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Frankfurt a. M., den 22. December 1815.
Da übermorgen Heiligabend iſt, ſo hoffe ich ſoll dieſer
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/367>, abgerufen am 24.11.2024.
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