Sie mir, sagen Sie mir alles; ich verstehe das Meiste, und vom Leiden und allem Menschlichen sehr viel, werde es, so bald es dies wirklich ist, nie überdrüssig, nie zu gut dazu. Ach! und einen Zeugen unsers Lebens, des Fadens der innen gesponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be- wußtsein beleuchtet, bedürfen wir so sehr! Ich will Ihr Zeuge sein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was Sie mir nicht sagen können, und welches alles andere be- stimmt. Ich will Sie verstehen, wenn auch Ihre Natur von meiner abweicht; dadurch verstehen, daß ich mich erinnre, wie man mich nicht versteht, und es doch richtig ist! Auch ich, Liebe, liebe Töplitz unendlich: sein heiteres schönes Thal, seine holde Wohlthatsquelle, der ich schon jahrelange Gesundheit, und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden; neue Freundschaften; Bekanntschaften ohne Zahl, die mich, ich nicht sie, suchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden male, wo es schon ganz gestört war; -- machte mir einen langjährigen Wunsch draus, dort ein Haus zu besitzen! Es ist einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge; kurz, es vereinigt fast alles was ich liebe. Es ist auch Ge- sellschaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß noch leben, das glauben Sie gewiß! --
-- Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede ist, setzen sich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der
Sie mir, ſagen Sie mir alles; ich verſtehe das Meiſte, und vom Leiden und allem Menſchlichen ſehr viel, werde es, ſo bald es dies wirklich iſt, nie überdrüſſig, nie zu gut dazu. Ach! und einen Zeugen unſers Lebens, des Fadens der innen geſponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be- wußtſein beleuchtet, bedürfen wir ſo ſehr! Ich will Ihr Zeuge ſein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was Sie mir nicht ſagen können, und welches alles andere be- ſtimmt. Ich will Sie verſtehen, wenn auch Ihre Natur von meiner abweicht; dadurch verſtehen, daß ich mich erinnre, wie man mich nicht verſteht, und es doch richtig iſt! Auch ich, Liebe, liebe Töplitz unendlich: ſein heiteres ſchönes Thal, ſeine holde Wohlthatsquelle, der ich ſchon jahrelange Geſundheit, und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden; neue Freundſchaften; Bekanntſchaften ohne Zahl, die mich, ich nicht ſie, ſuchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden male, wo es ſchon ganz geſtört war; — machte mir einen langjährigen Wunſch draus, dort ein Haus zu beſitzen! Es iſt einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge; kurz, es vereinigt faſt alles was ich liebe. Es iſt auch Ge- ſellſchaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß noch leben, das glauben Sie gewiß! —
— Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede iſt, ſetzen ſich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der
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Sie mir, ſagen Sie mir alles; ich verſtehe das Meiſte, und
vom Leiden und allem Menſchlichen ſehr viel, werde es, ſo
bald es dies wirklich iſt, nie überdrüſſig, nie zu gut dazu.
Ach! und einen Zeugen unſers Lebens, des Fadens der innen
geſponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be-
wußtſein beleuchtet, bedürfen wir ſo ſehr! Ich will Ihr Zeuge
ſein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was
Sie mir nicht ſagen können, und welches alles andere be-
ſtimmt. Ich will Sie verſtehen, wenn auch Ihre Natur von
meiner abweicht; dadurch verſtehen, daß ich mich erinnre, wie
man mich nicht verſteht, und es doch richtig iſt! Auch ich,
Liebe, liebe Töplitz unendlich: ſein heiteres ſchönes Thal, ſeine
holde Wohlthatsquelle, der ich ſchon jahrelange Geſundheit,
und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das
Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit
wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden;
neue Freundſchaften; Bekanntſchaften ohne Zahl, die mich, ich
nicht ſie, ſuchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden
male, wo es ſchon ganz geſtört war; — machte mir einen
langjährigen Wunſch draus, dort ein Haus zu beſitzen! Es
iſt einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen
vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge;
kurz, es vereinigt faſt alles was ich liebe. Es iſt auch Ge-
ſellſchaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir
nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß
noch leben, das glauben Sie gewiß! —
— Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede iſt,
ſetzen ſich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/412>, abgerufen am 28.11.2024.
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