heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Ist man hier ge- boren oder eingelebt, so mag's einem auch hier gefallen: der Eindruck ist heiter, angenehm, berlinisch; ja, überraschend schön. Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die schönste Bauart; schöne Gebäude, viel Grünes -- verdure -- und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der Ort auch das wissen! --
Neumann! In der von Menschen arrangirten Welt, nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge schon fest- setzt, giebt es nur Eins, welches unleidlich ist, abscheulich, empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um sich her alles wegfressend, wahrhaft unsittlich, und wieder empörend, weil dies nur geehrt wird; zum schwindlich werden, weil wir selbst uns ihm doch fügen! Dieses Eine nannten Sie: dieses Eine vergesse ich nie: und vergesse ich's, so benimmt es mir und allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünstung doch das Leben: über dieses Eine ist tiefsinnig, ja auch gründlich in unsern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange nicht in Worten, die außer der litterarischen Welt Funken fassen. Schon Fichte sagte ihnen deutlich, in seinen Vorle- sungen Anno 6: ein tiefsinniger Denker, begründete Reden in der Art, würden ihnen nie schaden, führte sich an, und bewies ihnen, wie entfernt grade solcher von Thaten, vom Handlen ist. Noch schlimmer sag' ich: nicht allein solch ein Mann handelt nicht, sondern auch seine Versteher nicht; die sind, nur auf eine passivere Weise, eben so geistig, und folglich nicht anders beschäftigt. Wir, die Deutschen, haben noch keine Sprache, so durch alle Geselligkeitsröhren getrieben, wie es die
heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Iſt man hier ge- boren oder eingelebt, ſo mag’s einem auch hier gefallen: der Eindruck iſt heiter, angenehm, berliniſch; ja, überraſchend ſchön. Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die ſchönſte Bauart; ſchöne Gebäude, viel Grünes — verdure — und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der Ort auch das wiſſen! —
Neumann! In der von Menſchen arrangirten Welt, nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge ſchon feſt- ſetzt, giebt es nur Eins, welches unleidlich iſt, abſcheulich, empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um ſich her alles wegfreſſend, wahrhaft unſittlich, und wieder empörend, weil dies nur geehrt wird; zum ſchwindlich werden, weil wir ſelbſt uns ihm doch fügen! Dieſes Eine nannten Sie: dieſes Eine vergeſſe ich nie: und vergeſſe ich’s, ſo benimmt es mir und allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünſtung doch das Leben: über dieſes Eine iſt tiefſinnig, ja auch gründlich in unſern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange nicht in Worten, die außer der litterariſchen Welt Funken faſſen. Schon Fichte ſagte ihnen deutlich, in ſeinen Vorle- ſungen Anno 6: ein tiefſinniger Denker, begründete Reden in der Art, würden ihnen nie ſchaden, führte ſich an, und bewies ihnen, wie entfernt grade ſolcher von Thaten, vom Handlen iſt. Noch ſchlimmer ſag’ ich: nicht allein ſolch ein Mann handelt nicht, ſondern auch ſeine Verſteher nicht; die ſind, nur auf eine paſſivere Weiſe, eben ſo geiſtig, und folglich nicht anders beſchäftigt. Wir, die Deutſchen, haben noch keine Sprache, ſo durch alle Geſelligkeitsröhren getrieben, wie es die
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heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Iſt man hier ge-
boren oder eingelebt, ſo mag’s einem auch hier gefallen: der
Eindruck iſt heiter, angenehm, berliniſch; ja, überraſchend ſchön.
Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die
ſchönſte Bauart; ſchöne Gebäude, viel Grünes — verdure —
und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der
Ort auch das wiſſen! —
Neumann! In der von Menſchen arrangirten Welt,
nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge ſchon feſt-
ſetzt, giebt es nur Eins, welches unleidlich iſt, abſcheulich,
empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um ſich her alles
wegfreſſend, wahrhaft unſittlich, und wieder empörend, weil
dies nur geehrt wird; zum ſchwindlich werden, weil wir ſelbſt
uns ihm doch fügen! Dieſes Eine nannten Sie: dieſes Eine
vergeſſe ich nie: und vergeſſe ich’s, ſo benimmt es mir und
allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünſtung doch
das Leben: über dieſes Eine iſt tiefſinnig, ja auch gründlich
in unſern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange
nicht in Worten, die außer der litterariſchen Welt Funken
faſſen. Schon Fichte ſagte ihnen deutlich, in ſeinen Vorle-
ſungen Anno 6: ein tiefſinniger Denker, begründete Reden in
der Art, würden ihnen nie ſchaden, führte ſich an, und bewies
ihnen, wie entfernt grade ſolcher von Thaten, vom Handlen
iſt. Noch ſchlimmer ſag’ ich: nicht allein ſolch ein Mann
handelt nicht, ſondern auch ſeine Verſteher nicht; die ſind, nur
auf eine paſſivere Weiſe, eben ſo geiſtig, und folglich nicht
anders beſchäftigt. Wir, die Deutſchen, haben noch keine
Sprache, ſo durch alle Geſelligkeitsröhren getrieben, wie es die
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/418>, abgerufen am 29.11.2024.
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