französische ist; in der man sich dem Geringsten im Faubourg verständlich machen kann. Es liegt aber eine solche in unse- rer bereitet da; man braucht sie nur fertig zu machen, nur die Wortstücke dazu auszusuchen -- auch ich kann dergleichen, weil das Tagesleben, wie bei den Franzosen, mein Kunststoff ist. -- Es gab aber in unserm Lande keine Gelegenheit zum Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müssen ohne Ton, Gebärde, unpersönlich, zu überirdisch, aus dem Geist an den Geist wirken. Also langsam, künstlich, und dann plötz- lich. Es werden Verhältnisse uns auch eine Lebensgeselligkeit in Worten, schaffen. Ich weiß es. Oh! lebt' ich nur lang genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht! die Beweise stumme, starre, frische und alte Exempel sein. Nein, man hält die tück'schen Narren, die albernen Verbrecher nicht mehr aus. Sie; ich, kennen sie längst. Zu nichts kommt neue Empörung; sie stapelt sich unnütz nur auf: längst ging es über alles sittliche Maß, über alles geistige Auffassen. Mir ist nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo sie das Frevelspiel auch mit dem wahnsinnigen Ernst durch- spielen, fällt es unsinniger und kleinlicher, und der Geißel näher aus.
Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein pied-a-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und dann, stummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei- nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen ersten Mo- naten werden wir dort so wenig etablirt als hier sein. Aber ein Zuhause sollen Sie nicht allein mit uns, sondern auch bei
franzöſiſche iſt; in der man ſich dem Geringſten im Faubourg verſtändlich machen kann. Es liegt aber eine ſolche in unſe- rer bereitet da; man braucht ſie nur fertig zu machen, nur die Wortſtücke dazu auszuſuchen — auch ich kann dergleichen, weil das Tagesleben, wie bei den Franzoſen, mein Kunſtſtoff iſt. — Es gab aber in unſerm Lande keine Gelegenheit zum Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müſſen ohne Ton, Gebärde, unperſönlich, zu überirdiſch, aus dem Geiſt an den Geiſt wirken. Alſo langſam, künſtlich, und dann plötz- lich. Es werden Verhältniſſe uns auch eine Lebensgeſelligkeit in Worten, ſchaffen. Ich weiß es. Oh! lebt’ ich nur lang genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht! die Beweiſe ſtumme, ſtarre, friſche und alte Exempel ſein. Nein, man hält die tück’ſchen Narren, die albernen Verbrecher nicht mehr aus. Sie; ich, kennen ſie längſt. Zu nichts kommt neue Empörung; ſie ſtapelt ſich unnütz nur auf: längſt ging es über alles ſittliche Maß, über alles geiſtige Auffaſſen. Mir iſt nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo ſie das Frevelſpiel auch mit dem wahnſinnigen Ernſt durch- ſpielen, fällt es unſinniger und kleinlicher, und der Geißel näher aus.
Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein pied-à-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und dann, ſtummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei- nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen erſten Mo- naten werden wir dort ſo wenig etablirt als hier ſein. Aber ein Zuhauſe ſollen Sie nicht allein mit uns, ſondern auch bei
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franzöſiſche iſt; in der man ſich dem Geringſten im Faubourg
verſtändlich machen kann. Es liegt aber eine ſolche in unſe-
rer bereitet da; man braucht ſie nur fertig zu machen, nur
die Wortſtücke dazu auszuſuchen — auch ich kann dergleichen,
weil das Tagesleben, wie bei den Franzoſen, mein Kunſtſtoff
iſt. — Es gab aber in unſerm Lande keine Gelegenheit zum
Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müſſen
ohne Ton, Gebärde, unperſönlich, zu überirdiſch, aus dem Geiſt
an den Geiſt wirken. Alſo langſam, künſtlich, und dann plötz-
lich. Es werden Verhältniſſe uns auch eine Lebensgeſelligkeit
in Worten, ſchaffen. Ich weiß es. Oh! lebt’ ich nur lang
genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan
und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht!
die Beweiſe ſtumme, ſtarre, friſche und alte Exempel ſein.
Nein, man hält die tück’ſchen Narren, die albernen Verbrecher
nicht mehr aus. Sie; ich, kennen ſie längſt. Zu nichts
kommt neue Empörung; ſie ſtapelt ſich unnütz nur auf: längſt
ging es über alles ſittliche Maß, über alles geiſtige Auffaſſen.
Mir iſt nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo
ſie das Frevelſpiel auch mit dem wahnſinnigen Ernſt durch-
ſpielen, fällt es unſinniger und kleinlicher, und der Geißel
näher aus.
Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein
pied-à-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und
dann, ſtummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei-
nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen erſten Mo-
naten werden wir dort ſo wenig etablirt als hier ſein. Aber
ein Zuhauſe ſollen Sie nicht allein mit uns, ſondern auch bei
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/419>, abgerufen am 29.11.2024.
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