Kann man aber mehr thun, als sich ändern, reinigen, bessern? Hat man Macht über geschehene Dinge? Gäbe man nicht Leben und Glück, um manches wieder herzustellen? Gehört das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebste! besonders was Sie unter "verloren" verstehn.
Sie diesen Sommer zu besuchen, gehört unter die Lieb- linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu- sammen sehen, aus uns hervorholen, sprechen, spazirengehen, und so gewiß "durch einander lernen!" Im Freien, von Ge- meinem abgewandt, neben Gescheidten zu sein, kann eine Se- ligkeit sein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig sagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich einmiethen könnte. Besuchte ich Sie nur allein, nur Frau von Fouque, so ginge alles an: aber so würde ich mich im- mer als Gast der andern Herrschaften auch fühlen, und mich gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was haben die von dir, und was sollen die von dir denken! Ich habe kein Talent, als mein Dasein, und damit können Sie nur zufrieden sein: bin nichts, und ohne agrement. Dann habe ich keine -- besonders jetzt -- schußfeste Gesundheit; und bin leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewisse Bequemlich- keiten missen soll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta- gesstunden ganz unfähig, unter Menschen zu bleiben; wo aber grade die Hausgesellschaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäste
Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern? Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders was Sie unter „verloren“ verſtehn.
Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb- linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu- ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen, und ſo gewiß „durch einander lernen!“ Im Freien, von Ge- meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se- ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau von Fouqué, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im- mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was haben die von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe ich keine — beſonders jetzt — ſchußfeſte Geſundheit; und bin leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich- keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta- gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0042"n="34"/>
Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern?<lb/>
Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht<lb/>
Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört<lb/>
das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten<lb/>
Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders<lb/>
was Sie unter „verloren“ verſtehn.</p><lb/><p>Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb-<lb/>
linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu-<lb/>ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen,<lb/>
und ſo gewiß „durch einander lernen!“ Im Freien, von Ge-<lb/>
meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se-<lb/>
ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich<lb/>
nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig<lb/>ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre<lb/>
in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich<lb/>
einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau<lb/>
von Fouqu<hirendition="#aq">é</hi>, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im-<lb/>
mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich<lb/>
gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was<lb/>
haben <hirendition="#g">die</hi> von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich<lb/>
habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie<lb/>
nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne <hirendition="#aq">agrément.</hi> Dann habe<lb/>
ich keine — beſonders jetzt —ſchußfeſte Geſundheit; und bin<lb/>
leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich-<lb/>
keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur<lb/>
Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta-<lb/>
gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber<lb/>
grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[34/0042]
Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern?
Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht
Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört
das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten
Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders
was Sie unter „verloren“ verſtehn.
Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb-
linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu-
ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen,
und ſo gewiß „durch einander lernen!“ Im Freien, von Ge-
meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se-
ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich
nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig
ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre
in Ihrem Dorf ein Wirths- oder anderes Haus, wo ich mich
einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau
von Fouqué, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im-
mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich
gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was
haben die von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich
habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie
nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe
ich keine — beſonders jetzt — ſchußfeſte Geſundheit; und bin
leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich-
keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur
Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta-
gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber
grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/42>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.