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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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nun wußte, du kannst den Morgen in die Luft gehen -- sie
war die beleidigendste Novemberluft -- und wirst den Abend
einen Augenblick haben -- da tritt Robert mitten in mein
Waschen, mit Ihrem Brief herein, und lies't mir, Sie würden
Ende des Monats mich besuchen!! -- nun brauche ich ja gar
nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Gustelette!
Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit
ausgedacht habe! -- -- Die andere Woche werden wir, denk'
ich, nach Karlsruhe reisen. Wie kommen Sie auf den Ge-
danken, daß ich mit Robert in Darmstadt war, als Sie dort
waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank-
furter Messe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht
dort. Von keiner Brede war nichts zu sehen und nichts zu
hören! -- Den jungen Gern im Gegentheil sah ich dort den
Richter in den Quälgeistern spielen. Gut, würd' ich sagen,
hätte ich nicht zu Anfang seiner Laufbahn in Berlin gesehen,
daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künstler in dem
Menschen sitzt -- er spielte damals einen Bedienten in Shake-
speare's Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner,
kurz eine luftige Maske aus aller Zeit, mit Leichtigkeit,
Einfällen, Grazie, und was am meisten zu bewundern war,
vollendeter Gewandtheit, ganz selbst erfunden, ganz idealisch
gehalten; und wahrhaft komisch. Jetzt ist sein Talent rein
weg verschwemmt, vom Zusehen Anderer Elendigkeit, Künste-
lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die sich zur
Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher
von Iffland; so daß er mit all dessen Fehlern vor einem
steht, und man beim Überlegen doch das etwa Beste an ihm,

nun wußte, du kannſt den Morgen in die Luft gehen — ſie
war die beleidigendſte Novemberluft — und wirſt den Abend
einen Augenblick haben — da tritt Robert mitten in mein
Waſchen, mit Ihrem Brief herein, und lieſ’t mir, Sie würden
Ende des Monats mich beſuchen!! — nun brauche ich ja gar
nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Guſtelette!
Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit
ausgedacht habe! — — Die andere Woche werden wir, denk’
ich, nach Karlsruhe reiſen. Wie kommen Sie auf den Ge-
danken, daß ich mit Robert in Darmſtadt war, als Sie dort
waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank-
furter Meſſe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht
dort. Von keiner Brede war nichts zu ſehen und nichts zu
hören! — Den jungen Gern im Gegentheil ſah ich dort den
Richter in den Quälgeiſtern ſpielen. Gut, würd’ ich ſagen,
hätte ich nicht zu Anfang ſeiner Laufbahn in Berlin geſehen,
daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künſtler in dem
Menſchen ſitzt — er ſpielte damals einen Bedienten in Shake-
ſpeare’s Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner,
kurz eine luftige Maske aus aller Zeit, mit Leichtigkeit,
Einfällen, Grazie, und was am meiſten zu bewundern war,
vollendeter Gewandtheit, ganz ſelbſt erfunden, ganz idealiſch
gehalten; und wahrhaft komiſch. Jetzt iſt ſein Talent rein
weg verſchwemmt, vom Zuſehen Anderer Elendigkeit, Künſte-
lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die ſich zur
Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher
von Iffland; ſo daß er mit all deſſen Fehlern vor einem
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[422/0430] nun wußte, du kannſt den Morgen in die Luft gehen — ſie war die beleidigendſte Novemberluft — und wirſt den Abend einen Augenblick haben — da tritt Robert mitten in mein Waſchen, mit Ihrem Brief herein, und lieſ’t mir, Sie würden Ende des Monats mich beſuchen!! — nun brauche ich ja gar nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Guſtelette! Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit ausgedacht habe! — — Die andere Woche werden wir, denk’ ich, nach Karlsruhe reiſen. Wie kommen Sie auf den Ge- danken, daß ich mit Robert in Darmſtadt war, als Sie dort waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank- furter Meſſe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht dort. Von keiner Brede war nichts zu ſehen und nichts zu hören! — Den jungen Gern im Gegentheil ſah ich dort den Richter in den Quälgeiſtern ſpielen. Gut, würd’ ich ſagen, hätte ich nicht zu Anfang ſeiner Laufbahn in Berlin geſehen, daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künſtler in dem Menſchen ſitzt — er ſpielte damals einen Bedienten in Shake- ſpeare’s Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner, kurz eine luftige Maske aus aller Zeit, mit Leichtigkeit, Einfällen, Grazie, und was am meiſten zu bewundern war, vollendeter Gewandtheit, ganz ſelbſt erfunden, ganz idealiſch gehalten; und wahrhaft komiſch. Jetzt iſt ſein Talent rein weg verſchwemmt, vom Zuſehen Anderer Elendigkeit, Künſte- lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die ſich zur Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher von Iffland; ſo daß er mit all deſſen Fehlern vor einem ſteht, und man beim Überlegen doch das etwa Beſte an ihm,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/430>, abgerufen am 30.11.2024.