Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer kalter, schlechter, wenn auch heller Mondschein.
Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden -- seitdem war ich von drei Visiten im Anziehen gestört -- erhielt ich einen Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am Hoffeste geschehene Handverletzung meldet! In meinem Leben hab' ich mich nicht so wenig über ein blutiges Unglück erschrok- ken, als über diesen Fall; so geschickt und lustig und bedacht hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie scheinen doch nicht schreiben zu können, liebe Putte! Lassen Sie mir -- diktiren Sie -- von Mad. B. zum Beispiel -- was kostet die ein Brief! weniger als Marinelli'n eine Lüge! -- schreiben, wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, schwach ge- worden sind, Narben bekommen; welche Hand es ist, ob Sie sie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Also "ein Onglück sleppt nit immer nack sik seine Broder!" Die Königlichen Herrschaften sind also gegen Sie so gnädig in diesem Unfall! Es freut mich dies sehr! Und auch, daß die Königlichen Herrschaften vor lauter Konstitution -- wie jetzt die ganze ennuyante Welt -- nicht die ganze Kunst verges- sen; nämlich die, zu leben, zunächst; (lauter Anstalten für Enkel zu treffen, ist doch hart! und trocken vbenein!) und das bischen wahre Leben besteht doch in dem alten superflu tres- necessaire: in der Kunst nämlich: die ich ganz neu, so definire! Die Welt, die wir kennen, -- oder wer dies lieber hat, die
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Mannheim, den 28. März 1817.
Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer kalter, ſchlechter, wenn auch heller Mondſchein.
Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden — ſeitdem war ich von drei Viſiten im Anziehen geſtört — erhielt ich einen Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am Hoffeſte geſchehene Handverletzung meldet! In meinem Leben hab’ ich mich nicht ſo wenig über ein blutiges Unglück erſchrok- ken, als über dieſen Fall; ſo geſchickt und luſtig und bedacht hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie ſcheinen doch nicht ſchreiben zu können, liebe Putte! Laſſen Sie mir — diktiren Sie — von Mad. B. zum Beiſpiel — was koſtet die ein Brief! weniger als Marinelli’n eine Lüge! — ſchreiben, wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, ſchwach ge- worden ſind, Narben bekommen; welche Hand es iſt, ob Sie ſie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Alſo „ein Onglück ſleppt nit immer nack ſik ſeine Broder!“ Die Königlichen Herrſchaften ſind alſo gegen Sie ſo gnädig in dieſem Unfall! Es freut mich dies ſehr! Und auch, daß die Königlichen Herrſchaften vor lauter Konſtitution — wie jetzt die ganze ennuyante Welt — nicht die ganze Kunſt vergeſ- ſen; nämlich die, zu leben, zunächſt; (lauter Anſtalten für Enkel zu treffen, iſt doch hart! und trocken vbenein!) und das bischen wahre Leben beſteht doch in dem alten superflu très- nécessaire: in der Kunſt nämlich: die ich ganz neu, ſo definire! Die Welt, die wir kennen, — oder wer dies lieber hat, die
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0460"n="452"/><divn="2"><head>An Auguſte Brede, in Stuttgart.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Mannheim, den 28. März 1817.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#et">Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer<lb/>
kalter, ſchlechter, wenn auch heller Mondſchein.</hi></p><lb/><p>Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden —ſeitdem war<lb/>
ich von <hirendition="#g">drei</hi> Viſiten im Anziehen geſtört — erhielt ich einen<lb/>
Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am<lb/>
Hoffeſte geſchehene Handverletzung meldet! In meinem Leben<lb/>
hab’ ich mich nicht ſo wenig über ein blutiges Unglück erſchrok-<lb/>
ken, als über dieſen Fall; <hirendition="#g">ſo</hi> geſchickt und luſtig und bedacht<lb/>
hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie ſcheinen<lb/>
doch nicht ſchreiben zu können, liebe Putte! Laſſen Sie mir —<lb/>
diktiren Sie — von Mad. B. zum Beiſpiel — was koſtet die<lb/>
ein <hirendition="#g">Brief</hi>! weniger als Marinelli’n eine <hirendition="#g">Lüge</hi>! —ſchreiben,<lb/>
wie es Ihnen geht: ob Sie <hirendition="#g">Schmerzen</hi> leiden, ſchwach ge-<lb/>
worden ſind, Narben bekommen; welche Hand es iſt, ob Sie<lb/>ſie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Alſo<lb/>„ein Onglück ſleppt nit immer nack ſik ſeine Broder!“ Die<lb/>
Königlichen Herrſchaften ſind alſo gegen Sie ſo gnädig in<lb/>
dieſem Unfall! Es freut mich dies ſehr! Und auch, daß die<lb/>
Königlichen Herrſchaften vor lauter Konſtitution — wie jetzt<lb/>
die ganze ennuyante Welt — nicht die ganze Kunſt vergeſ-<lb/>ſen; nämlich die, zu leben, zunächſt; (<hirendition="#g">lauter</hi> Anſtalten für<lb/>
Enkel zu treffen, iſt doch hart! und trocken vbenein!) und das<lb/>
bischen wahre Leben beſteht doch in dem alten <hirendition="#aq">superflu très-<lb/>
nécessaire:</hi> in der Kunſt nämlich: die ich ganz neu, ſo definire!<lb/>
Die Welt, die wir kennen, — oder wer dies lieber hat, die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[452/0460]
An Auguſte Brede, in Stuttgart.
Mannheim, den 28. März 1817.
Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer
kalter, ſchlechter, wenn auch heller Mondſchein.
Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden — ſeitdem war
ich von drei Viſiten im Anziehen geſtört — erhielt ich einen
Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am
Hoffeſte geſchehene Handverletzung meldet! In meinem Leben
hab’ ich mich nicht ſo wenig über ein blutiges Unglück erſchrok-
ken, als über dieſen Fall; ſo geſchickt und luſtig und bedacht
hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie ſcheinen
doch nicht ſchreiben zu können, liebe Putte! Laſſen Sie mir —
diktiren Sie — von Mad. B. zum Beiſpiel — was koſtet die
ein Brief! weniger als Marinelli’n eine Lüge! — ſchreiben,
wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, ſchwach ge-
worden ſind, Narben bekommen; welche Hand es iſt, ob Sie
ſie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Alſo
„ein Onglück ſleppt nit immer nack ſik ſeine Broder!“ Die
Königlichen Herrſchaften ſind alſo gegen Sie ſo gnädig in
dieſem Unfall! Es freut mich dies ſehr! Und auch, daß die
Königlichen Herrſchaften vor lauter Konſtitution — wie jetzt
die ganze ennuyante Welt — nicht die ganze Kunſt vergeſ-
ſen; nämlich die, zu leben, zunächſt; (lauter Anſtalten für
Enkel zu treffen, iſt doch hart! und trocken vbenein!) und das
bischen wahre Leben beſteht doch in dem alten superflu très-
nécessaire: in der Kunſt nämlich: die ich ganz neu, ſo definire!
Die Welt, die wir kennen, — oder wer dies lieber hat, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/460>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.