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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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Natur -- so darzustellen, sie uns so vorzuspielen -- wie Kin-
der thun! -- wie wir sie gerne hätten, ohne ihr Garstiges,
das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir sie un-
serm Innern -- Paradiesischen -- gemäß, wünschen müssen --
gewöhnlich wird das Prätension genannt; dies unveräußer-
lich-angestammte Himmelsrecht! -- Sie sehen, ich will Sie
amüsiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn
auch meinen amüsantesten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich
auf meine Definition von Kunst; es wird wohl noch so her-
auskommen, daß er Recht hat, und zu sechs Jahren schon
wußte, was ich erst jetzt schlecht aus dem Block denke, für an-
dere Stilisten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich-
tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz sechs Jahr alt
war, gebrauchte ich mit Mad. Liman -- dies zur Anschaulich-
keit -- das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte
nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde,
und besuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz
an; den sie mitgenommen hatte, und dem sie entzückt die
Berge, die Wässer, die Gegenden zeigen wollte, und sich an
dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen
müsse, erfreuen wollte: er schrie aber immer vom Boden der
Kutsche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht sehen:
und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko-
mödie gesehen: die schönsten Dekorationen! Mama war wü-
thend: und bereute es scharf, nicht ein anderes Kind mitge-
nommen zu haben. So viel über diesen Gegenstand!

Lassen Sie mich wissen, ob ich Sie diesen Sommer sehe!
Gewiß. In Heidelberg wenigstens. Schicken Sie gütigst

Natur — ſo darzuſtellen, ſie uns ſo vorzuſpielen — wie Kin-
der thun! — wie wir ſie gerne hätten, ohne ihr Garſtiges,
das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir ſie un-
ſerm Innern — Paradieſiſchen — gemäß, wünſchen müſſen —
gewöhnlich wird das Prätenſion genannt; dies unveräußer-
lich-angeſtammte Himmelsrecht! — Sie ſehen, ich will Sie
amüſiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn
auch meinen amüſanteſten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich
auf meine Definition von Kunſt; es wird wohl noch ſo her-
auskommen, daß er Recht hat, und zu ſechs Jahren ſchon
wußte, was ich erſt jetzt ſchlecht aus dem Block denke, für an-
dere Stiliſten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich-
tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz ſechs Jahr alt
war, gebrauchte ich mit Mad. Liman — dies zur Anſchaulich-
keit — das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte
nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde,
und beſuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz
an; den ſie mitgenommen hatte, und dem ſie entzückt die
Berge, die Wäſſer, die Gegenden zeigen wollte, und ſich an
dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen
müſſe, erfreuen wollte: er ſchrie aber immer vom Boden der
Kutſche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht ſehen:
und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko-
mödie geſehen: die ſchönſten Dekorationen! Mama war wü-
thend: und bereute es ſcharf, nicht ein anderes Kind mitge-
nommen zu haben. So viel über dieſen Gegenſtand!

Laſſen Sie mich wiſſen, ob ich Sie dieſen Sommer ſehe!
Gewiß. In Heidelberg wenigſtens. Schicken Sie gütigſt

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[453/0461] Natur — ſo darzuſtellen, ſie uns ſo vorzuſpielen — wie Kin- der thun! — wie wir ſie gerne hätten, ohne ihr Garſtiges, das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir ſie un- ſerm Innern — Paradieſiſchen — gemäß, wünſchen müſſen — gewöhnlich wird das Prätenſion genannt; dies unveräußer- lich-angeſtammte Himmelsrecht! — Sie ſehen, ich will Sie amüſiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn auch meinen amüſanteſten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich auf meine Definition von Kunſt; es wird wohl noch ſo her- auskommen, daß er Recht hat, und zu ſechs Jahren ſchon wußte, was ich erſt jetzt ſchlecht aus dem Block denke, für an- dere Stiliſten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich- tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz ſechs Jahr alt war, gebrauchte ich mit Mad. Liman — dies zur Anſchaulich- keit — das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde, und beſuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz an; den ſie mitgenommen hatte, und dem ſie entzückt die Berge, die Wäſſer, die Gegenden zeigen wollte, und ſich an dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen müſſe, erfreuen wollte: er ſchrie aber immer vom Boden der Kutſche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht ſehen: und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko- mödie geſehen: die ſchönſten Dekorationen! Mama war wü- thend: und bereute es ſcharf, nicht ein anderes Kind mitge- nommen zu haben. So viel über dieſen Gegenſtand! Laſſen Sie mich wiſſen, ob ich Sie dieſen Sommer ſehe! Gewiß. In Heidelberg wenigſtens. Schicken Sie gütigſt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/461>, abgerufen am 22.11.2024.