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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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kommst, ich sehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem
einzigen, erwachsenen Knaben, da Karl doch so oft in
Brüssel sein muß, verstehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich
wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf
setzen: und konnte dir wiederum nicht schreiben ohne es zu er-
wähnen, und da ich nun doch schreiben muß, so erwähne ich
es auch. So stehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi-
nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft
melden soll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, so
bin ich mir ohnerachtet der bestimmten Briefe von ihm doch
auch wieder eine absagende Antwort gewärtig. Käme nur
die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht.
Vielleicht wär' es mir alsdann noch möglich eine andere Ge-
sellschaft zu schaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen
von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer
von Gästen, wie von Heerden in den Wiesen und Gebirgen
wimmelt, mir zum Zusehen recht; und der Ort, mir nur seiner
bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Charge d'af-
faires ist, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten,
mein Rösken. So gerne er dich sehen, ich ihn dir zeigen möchte:
und wie gut wir leben, wie er ist, wie ich's bei ihm habe! Dies
alles ist gut für mich ausgefallen; aber daß ich reisen und her-
umziehen muß, in einem Alter und Seelenzustand, wo ich blei-
ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und
Bekanntschaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur-
zelt wurde, wann in einem schmerzgetödteten Herzen und
Alter keine mehr wachsen, ist ein raffinement meines Schick-
sals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich.

kommſt, ich ſehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem
einzigen, erwachſenen Knaben, da Karl doch ſo oft in
Brüſſel ſein muß, verſtehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich
wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf
ſetzen: und konnte dir wiederum nicht ſchreiben ohne es zu er-
wähnen, und da ich nun doch ſchreiben muß, ſo erwähne ich
es auch. So ſtehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi-
nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft
melden ſoll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, ſo
bin ich mir ohnerachtet der beſtimmten Briefe von ihm doch
auch wieder eine abſagende Antwort gewärtig. Käme nur
die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht.
Vielleicht wär’ es mir alsdann noch möglich eine andere Ge-
ſellſchaft zu ſchaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen
von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer
von Gäſten, wie von Heerden in den Wieſen und Gebirgen
wimmelt, mir zum Zuſehen recht; und der Ort, mir nur ſeiner
bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Chargé d’af-
faires iſt, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten,
mein Rösken. So gerne er dich ſehen, ich ihn dir zeigen möchte:
und wie gut wir leben, wie er iſt, wie ich’s bei ihm habe! Dies
alles iſt gut für mich ausgefallen; aber daß ich reiſen und her-
umziehen muß, in einem Alter und Seelenzuſtand, wo ich blei-
ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und
Bekanntſchaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur-
zelt wurde, wann in einem ſchmerzgetödteten Herzen und
Alter keine mehr wachſen, iſt ein raffinement meines Schick-
ſals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich.

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[461/0469] kommſt, ich ſehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem einzigen, erwachſenen Knaben, da Karl doch ſo oft in Brüſſel ſein muß, verſtehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf ſetzen: und konnte dir wiederum nicht ſchreiben ohne es zu er- wähnen, und da ich nun doch ſchreiben muß, ſo erwähne ich es auch. So ſtehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi- nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft melden ſoll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, ſo bin ich mir ohnerachtet der beſtimmten Briefe von ihm doch auch wieder eine abſagende Antwort gewärtig. Käme nur die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht. Vielleicht wär’ es mir alsdann noch möglich eine andere Ge- ſellſchaft zu ſchaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer von Gäſten, wie von Heerden in den Wieſen und Gebirgen wimmelt, mir zum Zuſehen recht; und der Ort, mir nur ſeiner bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Chargé d’af- faires iſt, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten, mein Rösken. So gerne er dich ſehen, ich ihn dir zeigen möchte: und wie gut wir leben, wie er iſt, wie ich’s bei ihm habe! Dies alles iſt gut für mich ausgefallen; aber daß ich reiſen und her- umziehen muß, in einem Alter und Seelenzuſtand, wo ich blei- ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und Bekanntſchaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur- zelt wurde, wann in einem ſchmerzgetödteten Herzen und Alter keine mehr wachſen, iſt ein raffinement meines Schick- ſals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/469>, abgerufen am 25.11.2024.