Denn wisse, theure Rose, geliebte Freundin und Schwester, auf eine oder die andere Art muß ich dich bald sehen! Da- her mein Schweigen; -- und ich bin so wahrhaft wie du mich kanntest, im Ergründen, Nachspüren meiner selbst; im Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen muß. Also hab' ich dir viel zu sagen. Ein Lebens-Re- sume: und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei mir Wichtigkeiten sind. Ich liebe noch immer Gesellschaft -- aber freie; wie unsere war, -- Musik, Theater, Luft, Grü- nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzosen, französische Lektüre; ennuyire mich leicht, amüsire mich leicht. Muß das Meiste in der elenden kleinen, verhedderten Hofre- sidenz hier vermissen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra- gen. Das ist mein Unglück. Denn der Ort, wo man lebt, ist die Welt, in der man lebt. Alles, also. -- Beinah seit einem Jahr ist Robert -- der ein- für allemal Ludwig heißt -- in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim zusammen, bald in Baden, alles nur vier, sechs, acht Meilen auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf Goloffkin lebt; das freut mich nun sehr: er ist ganz glücklich, ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und sehr geschätzt in all diesen Städten; fühlt sich ganz frei, ist es, und goutirt es. Der Glücklichste von uns; ganz gesund. Unbeschrieen! Ich habe Vorurtheile. Mama ist weg. Weg! Ich sehe nie einen Garten, wünsche nie ein Besitzthum, wo ich nicht sie an- rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit eclat genießen könnte, weil sie es nicht hatte. Ein Jahr nur möchte ich ihr in einem bequemen Gartenquartier meine und Moritz Ehe
Denn wiſſe, theure Roſe, geliebte Freundin und Schweſter, auf eine oder die andere Art muß ich dich bald ſehen! Da- her mein Schweigen; — und ich bin ſo wahrhaft wie du mich kannteſt, im Ergründen, Nachſpüren meiner ſelbſt; im Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen muß. Alſo hab’ ich dir viel zu ſagen. Ein Lebens-Re- ſumé: und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei mir Wichtigkeiten ſind. Ich liebe noch immer Geſellſchaft — aber freie; wie unſere war, — Muſik, Theater, Luft, Grü- nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzoſen, franzöſiſche Lektüre; ennuyire mich leicht, amüſire mich leicht. Muß das Meiſte in der elenden kleinen, verhedderten Hofre- ſidenz hier vermiſſen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra- gen. Das iſt mein Unglück. Denn der Ort, wo man lebt, iſt die Welt, in der man lebt. Alles, alſo. — Beinah ſeit einem Jahr iſt Robert — der ein- für allemal Ludwig heißt — in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim zuſammen, bald in Baden, alles nur vier, ſechs, acht Meilen auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf Goloffkin lebt; das freut mich nun ſehr: er iſt ganz glücklich, ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und ſehr geſchätzt in all dieſen Städten; fühlt ſich ganz frei, iſt es, und goutirt es. Der Glücklichſte von uns; ganz geſund. Unbeſchrieen! Ich habe Vorurtheile. Mama iſt weg. Weg! Ich ſehe nie einen Garten, wünſche nie ein Beſitzthum, wo ich nicht ſie an- rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit éclat genießen könnte, weil ſie es nicht hatte. Ein Jahr nur möchte ich ihr in einem bequemen Gartenquartier meine und Moritz Ehe
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mich kannteſt, im Ergründen, Nachſpüren meiner ſelbſt; im
Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen
muß. Alſo hab’ ich dir viel zu ſagen. Ein Lebens-Re-
ſumé: und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei
mir Wichtigkeiten ſind. Ich liebe noch immer Geſellſchaft —
aber freie; wie unſere war, — Muſik, Theater, Luft, Grü-
nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzoſen,
franzöſiſche Lektüre; ennuyire mich leicht, amüſire mich leicht.
Muß das Meiſte in der elenden kleinen, verhedderten Hofre-
ſidenz hier vermiſſen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra-
gen. Das iſt mein Unglück. Denn der Ort, wo man lebt,
iſt die Welt, in der man lebt. Alles, alſo. — Beinah ſeit
einem Jahr iſt Robert — der ein- für allemal Ludwig heißt
— in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim
zuſammen, bald in Baden, alles nur vier, ſechs, acht Meilen
auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf
Goloffkin lebt; das freut mich nun ſehr: er iſt ganz glücklich,
ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und ſehr geſchätzt in
all dieſen Städten; fühlt ſich ganz frei, iſt es, und goutirt
es. Der Glücklichſte von uns; ganz geſund. Unbeſchrieen!
Ich habe Vorurtheile. Mama iſt weg. Weg! Ich ſehe nie
einen Garten, wünſche nie ein Beſitzthum, wo ich nicht ſie an-
rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit éclat genießen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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