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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen
Augenblick da war; Sonntag Mittag aß ich bei ihnen, und
blieb den Abend dort. Du glaubst es gewiß gar nicht, welche
Gespräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterste Weise mit
Gewalt anfängt. Über Theater, auf's gründlichste erörtert
die Bedürfnisse darüber, der Spanier, Franzosen, Engländer,
unsere, was es sein, was es werden kann, über Shakespeare,
Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer
gerecht über Franzosen, Racine, und die Zeitalter; da in die-
sem
Fach aber ich ein Ignorant bin, so ließ ich nichts nach,
was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl
sagen, daß wir ein Gespräch hatten, während mehr, als lange
zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzustände an
die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte,
mehr errathen, durch die Zwischensätze von Verschweigungen
seinerseits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelas-
senen Einsicht geistreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie-
feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze
und Lebhaftigkeit des Gesprächs loszueisen wußte! Über alle
andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch diese, mir in
meiner Geschichtsignoranz erstaunlich schmeichelhafte, daß er
mir zugab, daß das eigentlich unterscheidende Wesen der Zeit,
in der wir leben, das ist, daß nie solch allgemeines Wissen
auf der Erde, und ein so verbreitetes und schnelles der Völker
von einander, regiert habe und dagewesen sei, als jetzt. Wie
weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches
Zugeben von seiner Seite mir dies eintragen mußte, wirst du
ermessen können. Wir sprachen auch weitläufigst über den

So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen
Augenblick da war; Sonntag Mittag aß ich bei ihnen, und
blieb den Abend dort. Du glaubſt es gewiß gar nicht, welche
Geſpräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterſte Weiſe mit
Gewalt anfängt. Über Theater, auf’s gründlichſte erörtert
die Bedürfniſſe darüber, der Spanier, Franzoſen, Engländer,
unſere, was es ſein, was es werden kann, über Shakeſpeare,
Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer
gerecht über Franzoſen, Racine, und die Zeitalter; da in die-
ſem
Fach aber ich ein Ignorant bin, ſo ließ ich nichts nach,
was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl
ſagen, daß wir ein Geſpräch hatten, während mehr, als lange
zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzuſtände an
die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte,
mehr errathen, durch die Zwiſchenſätze von Verſchweigungen
ſeinerſeits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelaſ-
ſenen Einſicht geiſtreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie-
feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze
und Lebhaftigkeit des Geſprächs loszueiſen wußte! Über alle
andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch dieſe, mir in
meiner Geſchichtsignoranz erſtaunlich ſchmeichelhafte, daß er
mir zugab, daß das eigentlich unterſcheidende Weſen der Zeit,
in der wir leben, das iſt, daß nie ſolch allgemeines Wiſſen
auf der Erde, und ein ſo verbreitetes und ſchnelles der Völker
von einander, regiert habe und dageweſen ſei, als jetzt. Wie
weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches
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[479/0487] So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen Augenblick da war; Sonntag Mittag aß ich bei ihnen, und blieb den Abend dort. Du glaubſt es gewiß gar nicht, welche Geſpräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterſte Weiſe mit Gewalt anfängt. Über Theater, auf’s gründlichſte erörtert die Bedürfniſſe darüber, der Spanier, Franzoſen, Engländer, unſere, was es ſein, was es werden kann, über Shakeſpeare, Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer gerecht über Franzoſen, Racine, und die Zeitalter; da in die- ſem Fach aber ich ein Ignorant bin, ſo ließ ich nichts nach, was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl ſagen, daß wir ein Geſpräch hatten, während mehr, als lange zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzuſtände an die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte, mehr errathen, durch die Zwiſchenſätze von Verſchweigungen ſeinerſeits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelaſ- ſenen Einſicht geiſtreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie- feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze und Lebhaftigkeit des Geſprächs loszueiſen wußte! Über alle andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch dieſe, mir in meiner Geſchichtsignoranz erſtaunlich ſchmeichelhafte, daß er mir zugab, daß das eigentlich unterſcheidende Weſen der Zeit, in der wir leben, das iſt, daß nie ſolch allgemeines Wiſſen auf der Erde, und ein ſo verbreitetes und ſchnelles der Völker von einander, regiert habe und dageweſen ſei, als jetzt. Wie weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches Zugeben von ſeiner Seite mir dies eintragen mußte, wirſt du ermeſſen können. Wir ſprachen auch weitläufigſt über den

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/487>, abgerufen am 22.11.2024.