gungen. Große Freude ängstigt mich, Festfreude; Stolz macht mich nachdenklich, und vorsorglich; wem werden diese geputz- ten, sich bravstimmenden Bürgertruppen zuerst folgen? Wer sie zuerst führen? dieser Gedanke bewegte sich bis zur unruhi- gen Qual in mir hin und her! -- (Da kommen die Truppen trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe sie wieder gesehen und sehr geweint: über eine mit Eichlaub schöngestickte Fahne. O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur so viel, daß Alle sie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote sein; dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb sein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet sehe ich alles: die Gesichter sogar. (Es strömen noch immer Trup- pen und Menschen, alle Fenster sind voll.) Ich stürze alle Augenblick an's Fenster: wie schwarz ist alles von Menschen, im hellen Sonnenschein! Ach, wenn Goethe seine veränderte Stadt sähe. Eine neue Kaiserkrönung. Gestern um 3 Uhr Mittags sind Golz'ens unverhofft gekommen: sie sind expreß wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge- lassen, ließen sie mir sagen. Ich ging aus Bescheidenheit, sie ruhen zu lassen, noch nicht hin. Es freut mich, daß sie hier sind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutsch- land, und zu Hause macht. Man merkt sehr auf dergleichen. Vorgestern war ich zu einer Soiree bei Schlossers: der Dok- tor (Christian) ist auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling, Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen -- (Alle Ge- sandte und Magistratspersonen fahren vorbei, Trommlen neh- men kein Ende, die foule ist groß) -- mit seiner Frau, und
gungen. Große Freude ängſtigt mich, Feſtfreude; Stolz macht mich nachdenklich, und vorſorglich; wem werden dieſe geputz- ten, ſich bravſtimmenden Bürgertruppen zuerſt folgen? Wer ſie zuerſt führen? dieſer Gedanke bewegte ſich bis zur unruhi- gen Qual in mir hin und her! — (Da kommen die Truppen trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe ſie wieder geſehen und ſehr geweint: über eine mit Eichlaub ſchöngeſtickte Fahne. O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur ſo viel, daß Alle ſie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote ſein; dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb ſein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet ſehe ich alles: die Geſichter ſogar. (Es ſtrömen noch immer Trup- pen und Menſchen, alle Fenſter ſind voll.) Ich ſtürze alle Augenblick an’s Fenſter: wie ſchwarz iſt alles von Menſchen, im hellen Sonnenſchein! Ach, wenn Goethe ſeine veränderte Stadt ſähe. Eine neue Kaiſerkrönung. Geſtern um 3 Uhr Mittags ſind Golz’ens unverhofft gekommen: ſie ſind expreß wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge- laſſen, ließen ſie mir ſagen. Ich ging aus Beſcheidenheit, ſie ruhen zu laſſen, noch nicht hin. Es freut mich, daß ſie hier ſind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutſch- land, und zu Hauſe macht. Man merkt ſehr auf dergleichen. Vorgeſtern war ich zu einer Soirée bei Schloſſers: der Dok- tor (Chriſtian) iſt auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling, Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen — (Alle Ge- ſandte und Magiſtratsperſonen fahren vorbei, Trommlen neh- men kein Ende, die foule iſt groß) — mit ſeiner Frau, und
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gungen. Große Freude ängſtigt mich, Feſtfreude; Stolz macht
mich nachdenklich, und vorſorglich; wem werden dieſe geputz-
ten, ſich bravſtimmenden Bürgertruppen zuerſt folgen? Wer
ſie zuerſt führen? dieſer Gedanke bewegte ſich bis zur unruhi-
gen Qual in mir hin und her! — (Da kommen die Truppen
trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe ſie wieder geſehen
und ſehr geweint: über eine mit Eichlaub ſchöngeſtickte Fahne.
O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle
Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur ſo viel, daß
Alle ſie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote ſein;
dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb
ſein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet ſehe
ich alles: die Geſichter ſogar. (Es ſtrömen noch immer Trup-
pen und Menſchen, alle Fenſter ſind voll.) Ich ſtürze alle
Augenblick an’s Fenſter: wie ſchwarz iſt alles von Menſchen,
im hellen Sonnenſchein! Ach, wenn Goethe ſeine veränderte
Stadt ſähe. Eine neue Kaiſerkrönung. Geſtern um 3 Uhr
Mittags ſind Golz’ens unverhofft gekommen: ſie ſind expreß
wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge-
laſſen, ließen ſie mir ſagen. Ich ging aus Beſcheidenheit, ſie
ruhen zu laſſen, noch nicht hin. Es freut mich, daß ſie hier
ſind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutſch-
land, und zu Hauſe macht. Man merkt ſehr auf dergleichen.
Vorgeſtern war ich zu einer Soirée bei Schloſſers: der Dok-
tor (Chriſtian) iſt auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling,
Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen — (Alle Ge-
ſandte und Magiſtratsperſonen fahren vorbei, Trommlen neh-
men kein Ende, die foule iſt groß) — mit ſeiner Frau, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/490>, abgerufen am 22.11.2024.
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