hat Apollo berührt: ich verstehe die Begabten. -- Wär' ich nur in Berlin, in meinem Hause; Sie wohnten doch bei mir! -- Wie leid ist es mir, daß Sie unsere Garderobe, unsere Dekorationen nicht mehr sehen: aber lieb ist es mir, daß Sie im Opernhause spielen; und es freut mich, daß Graf Brühl bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gastrollen zu machen weiß. Warum spielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anstatt in Rudolf -- oder wie er heißt -- von Finnland? -- Jo- hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in dieser aber zieh' ich Sie vor. Ich habe auch eine Sorge; Berlins Geschmack in Ansehung der Weiberrollen ist auf schwaches Regime gesetzt. Das Größte, was sie hatten, (und ein Publikum schwingt seine Gedanken nie über das, was es sah, sondern bildet und schränkt sich darnach ein, oder aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das sie hatte, noch die Gabe besaß, nur sie sein zu dürfen; und das in einem solchen hohen und schönen Maße, daß man nicht unterscheiden mochte, ob sie auch etwas anders sein konnte; sie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantisch, tief empfin- dend, traurig-toll und toll-zerreißend sein, immer lieblich, selbst im Fehlgriff; konnte komisch, heiter, reizend, beweglich sein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber, furien-stark, mit den Elementen verwandt, mythologischen Wahnsinn, den konnte sie nicht aus der lieblichen, leichtbe- weglichen, leichtsinnigen, frommen Seele schöpfen, weil man nie etwas daraus schöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht' ich, ist den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein Erhabenes ausmacht, von Ihnen zu stark; das fürcht' ich ei-
hat Apollo berührt: ich verſtehe die Begabten. — Wär’ ich nur in Berlin, in meinem Hauſe; Sie wohnten doch bei mir! — Wie leid iſt es mir, daß Sie unſere Garderobe, unſere Dekorationen nicht mehr ſehen: aber lieb iſt es mir, daß Sie im Opernhauſe ſpielen; und es freut mich, daß Graf Brühl bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gaſtrollen zu machen weiß. Warum ſpielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anſtatt in Rudolf — oder wie er heißt — von Finnland? — Jo- hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in dieſer aber zieh’ ich Sie vor. Ich habe auch eine Sorge; Berlins Geſchmack in Anſehung der Weiberrollen iſt auf ſchwaches Regime geſetzt. Das Größte, was ſie hatten, (und ein Publikum ſchwingt ſeine Gedanken nie über das, was es ſah, ſondern bildet und ſchränkt ſich darnach ein, oder aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das ſie hatte, noch die Gabe beſaß, nur ſie ſein zu dürfen; und das in einem ſolchen hohen und ſchönen Maße, daß man nicht unterſcheiden mochte, ob ſie auch etwas anders ſein konnte; ſie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantiſch, tief empfin- dend, traurig-toll und toll-zerreißend ſein, immer lieblich, ſelbſt im Fehlgriff; konnte komiſch, heiter, reizend, beweglich ſein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber, furien-ſtark, mit den Elementen verwandt, mythologiſchen Wahnſinn, den konnte ſie nicht aus der lieblichen, leichtbe- weglichen, leichtſinnigen, frommen Seele ſchöpfen, weil man nie etwas daraus ſchöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht’ ich, iſt den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein Erhabenes ausmacht, von Ihnen zu ſtark; das fürcht’ ich ei-
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hat Apollo berührt: ich verſtehe die Begabten. — Wär’ ich
nur in Berlin, in meinem Hauſe; Sie wohnten doch bei mir!
— Wie leid iſt es mir, daß Sie unſere Garderobe, unſere
Dekorationen nicht mehr ſehen: aber lieb iſt es mir, daß Sie
im Opernhauſe ſpielen; und es freut mich, daß Graf Brühl
bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gaſtrollen zu machen weiß.
Warum ſpielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anſtatt
in Rudolf — oder wie er heißt — von Finnland? — Jo-
hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in
dieſer aber zieh’ ich Sie vor. Ich habe auch eine Sorge;
Berlins Geſchmack in Anſehung der Weiberrollen iſt auf
ſchwaches Regime geſetzt. Das Größte, was ſie hatten, (und
ein Publikum ſchwingt ſeine Gedanken nie über das, was
es ſah, ſondern bildet und ſchränkt ſich darnach ein, oder
aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das ſie
hatte, noch die Gabe beſaß, nur ſie ſein zu dürfen; und das
in einem ſolchen hohen und ſchönen Maße, daß man nicht
unterſcheiden mochte, ob ſie auch etwas anders ſein konnte;
ſie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantiſch, tief empfin-
dend, traurig-toll und toll-zerreißend ſein, immer lieblich,
ſelbſt im Fehlgriff; konnte komiſch, heiter, reizend, beweglich
ſein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber,
furien-ſtark, mit den Elementen verwandt, mythologiſchen
Wahnſinn, den konnte ſie nicht aus der lieblichen, leichtbe-
weglichen, leichtſinnigen, frommen Seele ſchöpfen, weil man
nie etwas daraus ſchöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht’
ich, iſt den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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