Frankfurt a. M., Sonnabend Morgen halb 11 Uhr. Wahrscheinlich der 1. November, 1817.
Werde nur nicht ungeduldig, lieber August! Ich will gerne Geduld haben, daß alles so langsam geht; wir kennen ja diese Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! -- so ist es noch wie es war, und zu tausenderlei gut, daß du in Ber- lin warst. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich dir heute schlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief antworte. So sehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir zu berichten, die du dir gabst, in mein Herz einsenkte; als Liebessamen. Ich habe meinen Winterhusten; und hatte drei Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et- was, -- die darin bestand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte und gut schlief, beides in erhöhtem Maß, mich sehr schlecht nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne dies bei mir. Nun mußt' ich aber doch diese Tage viel schrei- ben; auch heute noch muß ich Scholz ein ostensibel detaillirtes Billet für die arme Jüdin schreiben, welches Rothschildt lesen muß; und darum werd' ich mich bei dir, Geliebter, kurz fas- sen. Der Gräfin Golz schrieb ich gestern noch deine Neuigkeit von des Kanzlers bevorstehender Rheinreise, und deine Grüße ab; die Gräfin nahm es so gut auf, daß sie gestern expreß schickte, sich entschuldigen zu lassen, daß sie nicht schriftlich antworten könne, und heute schon vor 10, was ich mache, und daß sie kommen will: sie bitten mich Abends entweder zum Theater, oder zu sich. Seit Sonntag aber bin ich zu Hause
II. 32
An Varnhagen, in Berlin.
Frankfurt a. M., Sonnabend Morgen halb 11 Uhr. Wahrſcheinlich der 1. November, 1817.
Werde nur nicht ungeduldig, lieber Auguſt! Ich will gerne Geduld haben, daß alles ſo langſam geht; wir kennen ja dieſe Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! — ſo iſt es noch wie es war, und zu tauſenderlei gut, daß du in Ber- lin warſt. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich dir heute ſchlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief antworte. So ſehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir zu berichten, die du dir gabſt, in mein Herz einſenkte; als Liebesſamen. Ich habe meinen Winterhuſten; und hatte drei Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et- was, — die darin beſtand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte und gut ſchlief, beides in erhöhtem Maß, mich ſehr ſchlecht nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne dies bei mir. Nun mußt’ ich aber doch dieſe Tage viel ſchrei- ben; auch heute noch muß ich Scholz ein oſtenſibel detaillirtes Billet für die arme Jüdin ſchreiben, welches Rothſchildt leſen muß; und darum werd’ ich mich bei dir, Geliebter, kurz faſ- ſen. Der Gräfin Golz ſchrieb ich geſtern noch deine Neuigkeit von des Kanzlers bevorſtehender Rheinreiſe, und deine Grüße ab; die Gräfin nahm es ſo gut auf, daß ſie geſtern expreß ſchickte, ſich entſchuldigen zu laſſen, daß ſie nicht ſchriftlich antworten könne, und heute ſchon vor 10, was ich mache, und daß ſie kommen will: ſie bitten mich Abends entweder zum Theater, oder zu ſich. Seit Sonntag aber bin ich zu Hauſe
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An Varnhagen, in Berlin.
Frankfurt a. M., Sonnabend Morgen halb 11 Uhr.
Wahrſcheinlich der 1. November, 1817.
Werde nur nicht ungeduldig, lieber Auguſt! Ich will
gerne Geduld haben, daß alles ſo langſam geht; wir kennen
ja dieſe Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! — ſo iſt
es noch wie es war, und zu tauſenderlei gut, daß du in Ber-
lin warſt. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich
dir heute ſchlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief
antworte. So ſehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir
zu berichten, die du dir gabſt, in mein Herz einſenkte; als
Liebesſamen. Ich habe meinen Winterhuſten; und hatte drei
Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et-
was, — die darin beſtand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte
und gut ſchlief, beides in erhöhtem Maß, mich ſehr ſchlecht
nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne
dies bei mir. Nun mußt’ ich aber doch dieſe Tage viel ſchrei-
ben; auch heute noch muß ich Scholz ein oſtenſibel detaillirtes
Billet für die arme Jüdin ſchreiben, welches Rothſchildt leſen
muß; und darum werd’ ich mich bei dir, Geliebter, kurz faſ-
ſen. Der Gräfin Golz ſchrieb ich geſtern noch deine Neuigkeit
von des Kanzlers bevorſtehender Rheinreiſe, und deine Grüße
ab; die Gräfin nahm es ſo gut auf, daß ſie geſtern expreß
ſchickte, ſich entſchuldigen zu laſſen, daß ſie nicht ſchriftlich
antworten könne, und heute ſchon vor 10, was ich mache, und
daß ſie kommen will: ſie bitten mich Abends entweder zum
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/505>, abgerufen am 22.11.2024.
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