geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, besuchte mich Frau von Schlegel, sie leidet aber zu sehr. --
Lieber August, du mußt den Brief, den ich an die Schrö- der schrieb, mitrechnen, als sei er an dich. Mache ihn dann mit einem Phantasiesiegel von Ernestinen zu. Ich freue mich unendlich, sag dies Ernestinen, daß ihr beide so liirt mit ein- ander seid! in die Komödie, spaziren geht; und streitet! Sie hat mir göttlich naiv geschrieben. Ich umarme Sie herzlich, Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine besten und natür- lichen Freunde, meine Familie, so liirt mit einander sind! Geht nur recht spaziren! in die Komödie! Lacht, streitet, lebt, eßt miteinander; und schwören Sie's ihm zu, daß Sie im Sommer kommen. Lieb Ernestinchen! Ich gönne Ihnen al- les Glück! jede Freude! Liebevolle Gesinnungen unter einan- der, ist wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja Fanny immer mit! Und wie befindet sich die älteste Schwä- gerin? Sie soll mir von der Schröder schreiben; Fanny'n diktiren.
Also du hast für mich geweint in der Jägerstraße! Ja. Da ist mein Mausoleum. Da hab' ich geliebt, gelebt, gelit- ten, mich empört. Goethe'n kennen lernen. Bin mit ihm aufgewachsen, hab' ihn unendlich vergöttert! da wacht' ich und litt viele viele Nächte durch: sah Himmel, Gestirne, Welt, mit einer Art von Hoffnung. Wenigstens mit heftigen Wün- schen: war unschuldig; nicht unschuldiger als jetzt, dachte aber alle Leute seien vernünftig, können es sein. Ich war jung. (Eben war Mad. Schlosser hier; und störte mich bei dem Worte jung. Nun soll's auch dabei bewenden.) Du Lieber.
geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, beſuchte mich Frau von Schlegel, ſie leidet aber zu ſehr. —
Lieber Auguſt, du mußt den Brief, den ich an die Schrö- der ſchrieb, mitrechnen, als ſei er an dich. Mache ihn dann mit einem Phantaſieſiegel von Erneſtinen zu. Ich freue mich unendlich, ſag dies Erneſtinen, daß ihr beide ſo liirt mit ein- ander ſeid! in die Komödie, ſpaziren geht; und ſtreitet! Sie hat mir göttlich naiv geſchrieben. Ich umarme Sie herzlich, Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine beſten und natür- lichen Freunde, meine Familie, ſo liirt mit einander ſind! Geht nur recht ſpaziren! in die Komödie! Lacht, ſtreitet, lebt, eßt miteinander; und ſchwören Sie’s ihm zu, daß Sie im Sommer kommen. Lieb Erneſtinchen! Ich gönne Ihnen al- les Glück! jede Freude! Liebevolle Geſinnungen unter einan- der, iſt wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja Fanny immer mit! Und wie befindet ſich die älteſte Schwä- gerin? Sie ſoll mir von der Schröder ſchreiben; Fanny’n diktiren.
Alſo du haſt für mich geweint in der Jägerſtraße! Ja. Da iſt mein Mauſoleum. Da hab’ ich geliebt, gelebt, gelit- ten, mich empört. Goethe’n kennen lernen. Bin mit ihm aufgewachſen, hab’ ihn unendlich vergöttert! da wacht’ ich und litt viele viele Nächte durch: ſah Himmel, Geſtirne, Welt, mit einer Art von Hoffnung. Wenigſtens mit heftigen Wün- ſchen: war unſchuldig; nicht unſchuldiger als jetzt, dachte aber alle Leute ſeien vernünftig, können es ſein. Ich war jung. (Eben war Mad. Schloſſer hier; und ſtörte mich bei dem Worte jung. Nun ſoll’s auch dabei bewenden.) Du Lieber.
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geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, beſuchte mich
Frau von Schlegel, ſie leidet aber zu ſehr. —
Lieber Auguſt, du mußt den Brief, den ich an die Schrö-
der ſchrieb, mitrechnen, als ſei er an dich. Mache ihn dann
mit einem Phantaſieſiegel von Erneſtinen zu. Ich freue mich
unendlich, ſag dies Erneſtinen, daß ihr beide ſo liirt mit ein-
ander ſeid! in die Komödie, ſpaziren geht; und ſtreitet! Sie
hat mir göttlich naiv geſchrieben. Ich umarme Sie herzlich,
Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine beſten und natür-
lichen Freunde, meine Familie, ſo liirt mit einander ſind!
Geht nur recht ſpaziren! in die Komödie! Lacht, ſtreitet, lebt,
eßt miteinander; und ſchwören Sie’s ihm zu, daß Sie im
Sommer kommen. Lieb Erneſtinchen! Ich gönne Ihnen al-
les Glück! jede Freude! Liebevolle Geſinnungen unter einan-
der, iſt wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja
Fanny immer mit! Und wie befindet ſich die älteſte Schwä-
gerin? Sie ſoll mir von der Schröder ſchreiben; Fanny’n
diktiren.
Alſo du haſt für mich geweint in der Jägerſtraße! Ja.
Da iſt mein Mauſoleum. Da hab’ ich geliebt, gelebt, gelit-
ten, mich empört. Goethe’n kennen lernen. Bin mit ihm
aufgewachſen, hab’ ihn unendlich vergöttert! da wacht’ ich
und litt viele viele Nächte durch: ſah Himmel, Geſtirne, Welt,
mit einer Art von Hoffnung. Wenigſtens mit heftigen Wün-
ſchen: war unſchuldig; nicht unſchuldiger als jetzt, dachte aber
alle Leute ſeien vernünftig, können es ſein. Ich war jung.
(Eben war Mad. Schloſſer hier; und ſtörte mich bei dem
Worte jung. Nun ſoll’s auch dabei bewenden.) Du Lieber.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/506>, abgerufen am 22.11.2024.
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