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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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ben, und die sich nicht begnügen können, wenn sie, oder was
sie betrifft, nur für Andere scheinen -- machen alle
bankrutt
, wenn sie nicht früh ihre Einsichten zu einer Ein-
sicht zusammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer-
ten Plane zu einem vorgesetzten wirklichen Ziele sehr hinarbei-
ten: sich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geist wie-
derholend und kindisch ausstören lassen. Zu dieser Einsicht
komme ich zu spät: und mein Karakter und meine Gesundheit
sind dazu zu verweicht. Ein bestimmtes Talent, irgend etwas
zu bilden, außer meiner Einsicht, hab' ich auch nicht; also ge-
ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch sehr amüsabel, aber
mir fehlen die Gesellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime
noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menschen, an dem
ich Freude und Beschäftigung fände: keine gesellschaftliche Rei-
bung, die meine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme; keinen
großstädtischen Lärm, dem man nur zuzusehen braucht; nichts
fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunst! durchaus
kein Verstehen. Dabei leb' ich in beinah steter Berührung der
hiesigen Gesellschaft, wo es ungefähr und äußerlich so getrie-
ben wird, wie in allen europäischen Gesellschaften. Thee,
Ball, bal masque; Dine; Komödie; Assemblee, Ambitionen,
Florkleider, Kleinlichkeit etc. völliger Mangel, an Witz, Sinn,
Scherz, und Tiefsinn und Tiefherz. Darunter ich -- mit allen
meinen Erinnerungen. -- Und -- in Furcht, wegzukommen,
weil ich jeden Ort fürchte mit seinen neuen Unbequemlich-
keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im
September -- Endes -- war ich bei meiner Schwester in
Brüssel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in

ben, und die ſich nicht begnügen können, wenn ſie, oder was
ſie betrifft, nur für Andere ſcheinen — machen alle
bankrutt
, wenn ſie nicht früh ihre Einſichten zu einer Ein-
ſicht zuſammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer-
ten Plane zu einem vorgeſetzten wirklichen Ziele ſehr hinarbei-
ten: ſich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geiſt wie-
derholend und kindiſch ausſtören laſſen. Zu dieſer Einſicht
komme ich zu ſpät: und mein Karakter und meine Geſundheit
ſind dazu zu verweicht. Ein beſtimmtes Talent, irgend etwas
zu bilden, außer meiner Einſicht, hab’ ich auch nicht; alſo ge-
ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch ſehr amüſabel, aber
mir fehlen die Geſellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime
noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menſchen, an dem
ich Freude und Beſchäftigung fände: keine geſellſchaftliche Rei-
bung, die meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch nähme; keinen
großſtädtiſchen Lärm, dem man nur zuzuſehen braucht; nichts
fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunſt! durchaus
kein Verſtehen. Dabei leb’ ich in beinah ſteter Berührung der
hieſigen Geſellſchaft, wo es ungefähr und äußerlich ſo getrie-
ben wird, wie in allen europäiſchen Geſellſchaften. Thee,
Ball, bal masqué; Diné; Komödie; Aſſemblee, Ambitionen,
Florkleider, Kleinlichkeit ꝛc. völliger Mangel, an Witz, Sinn,
Scherz, und Tiefſinn und Tiefherz. Darunter ich — mit allen
meinen Erinnerungen. — Und — in Furcht, wegzukommen,
weil ich jeden Ort fürchte mit ſeinen neuen Unbequemlich-
keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im
September — Endes — war ich bei meiner Schweſter in
Brüſſel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in

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[522/0530] ben, und die ſich nicht begnügen können, wenn ſie, oder was ſie betrifft, nur für Andere ſcheinen — machen alle bankrutt, wenn ſie nicht früh ihre Einſichten zu einer Ein- ſicht zuſammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer- ten Plane zu einem vorgeſetzten wirklichen Ziele ſehr hinarbei- ten: ſich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geiſt wie- derholend und kindiſch ausſtören laſſen. Zu dieſer Einſicht komme ich zu ſpät: und mein Karakter und meine Geſundheit ſind dazu zu verweicht. Ein beſtimmtes Talent, irgend etwas zu bilden, außer meiner Einſicht, hab’ ich auch nicht; alſo ge- ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch ſehr amüſabel, aber mir fehlen die Geſellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menſchen, an dem ich Freude und Beſchäftigung fände: keine geſellſchaftliche Rei- bung, die meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch nähme; keinen großſtädtiſchen Lärm, dem man nur zuzuſehen braucht; nichts fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunſt! durchaus kein Verſtehen. Dabei leb’ ich in beinah ſteter Berührung der hieſigen Geſellſchaft, wo es ungefähr und äußerlich ſo getrie- ben wird, wie in allen europäiſchen Geſellſchaften. Thee, Ball, bal masqué; Diné; Komödie; Aſſemblee, Ambitionen, Florkleider, Kleinlichkeit ꝛc. völliger Mangel, an Witz, Sinn, Scherz, und Tiefſinn und Tiefherz. Darunter ich — mit allen meinen Erinnerungen. — Und — in Furcht, wegzukommen, weil ich jeden Ort fürchte mit ſeinen neuen Unbequemlich- keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im September — Endes — war ich bei meiner Schweſter in Brüſſel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/530>, abgerufen am 22.11.2024.