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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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haupt einen so allgemeinen, großen, kompakten Respekt aus-
giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, sagt
man im Deutschen), daß selbst entschiedne litterarische Gegner
noch in sich selbst so viel Umstände gegen eine Person machen
müssen, wenn sie nur Einmal auf ihren Geist aufmerksam
machen konnte. Das spricht für Frankreichs Feinheit; dem
ich, wo es nur möglich ist, applaudire, und mir gern gestehe,
was ich selbst ihm verdanke. Sie wissen, ich liebte Mad.
Stael persönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz-
dumm und urtheil-faul, die ihrem Wesen widersprechendsten
Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand
ich aber immer Karakter-Disparates: keine Mischung, die das
Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht still beim
Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von
künstlerischer spontaneer Auffassung, in allem wo sie vergleicht:
kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptsächlich,
nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer selbst: letz-
ter Schlußstein der Künstlernatur. Da man jetzt eine Anstalt
in Paris hat, alle mögliche deutsche Zeitschriften (las ich neu-
lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig-
keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Prosa), nach
den Aufgeregten (politisches Drama), in Goethe's neuer Aus-
gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe's Rhein und
Main; drei Hefte sind da. Suchen Sie Oelsner auf, der
weiß alles, ist grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich.

Sie führen ja etwas Abscheuliches in Ihrem letzten Brief
an, lieber Astolf! "Car malgre tout l'orgueil du raisonnement
c'est toujours ce qu'on fait qui finit par regler ce qu'on pense."

haupt einen ſo allgemeinen, großen, kompakten Reſpekt aus-
giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, ſagt
man im Deutſchen), daß ſelbſt entſchiedne litterariſche Gegner
noch in ſich ſelbſt ſo viel Umſtände gegen eine Perſon machen
müſſen, wenn ſie nur Einmal auf ihren Geiſt aufmerkſam
machen konnte. Das ſpricht für Frankreichs Feinheit; dem
ich, wo es nur möglich iſt, applaudire, und mir gern geſtehe,
was ich ſelbſt ihm verdanke. Sie wiſſen, ich liebte Mad.
Staël perſönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz-
dumm und urtheil-faul, die ihrem Weſen widerſprechendſten
Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand
ich aber immer Karakter-Disparates: keine Miſchung, die das
Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht ſtill beim
Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von
künſtleriſcher ſpontaneer Auffaſſung, in allem wo ſie vergleicht:
kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptſächlich,
nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer ſelbſt: letz-
ter Schlußſtein der Künſtlernatur. Da man jetzt eine Anſtalt
in Paris hat, alle mögliche deutſche Zeitſchriften (las ich neu-
lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig-
keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Proſa), nach
den Aufgeregten (politiſches Drama), in Goethe’s neuer Aus-
gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe’s Rhein und
Main; drei Hefte ſind da. Suchen Sie Oelsner auf, der
weiß alles, iſt grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich.

Sie führen ja etwas Abſcheuliches in Ihrem letzten Brief
an, lieber Aſtolf! „Car malgré tout l’orgueil du raisonnement
c’est toujours ce qu’on fait qui finit par régler ce qu’on pense.”

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[549/0557] haupt einen ſo allgemeinen, großen, kompakten Reſpekt aus- giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, ſagt man im Deutſchen), daß ſelbſt entſchiedne litterariſche Gegner noch in ſich ſelbſt ſo viel Umſtände gegen eine Perſon machen müſſen, wenn ſie nur Einmal auf ihren Geiſt aufmerkſam machen konnte. Das ſpricht für Frankreichs Feinheit; dem ich, wo es nur möglich iſt, applaudire, und mir gern geſtehe, was ich ſelbſt ihm verdanke. Sie wiſſen, ich liebte Mad. Staël perſönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz- dumm und urtheil-faul, die ihrem Weſen widerſprechendſten Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand ich aber immer Karakter-Disparates: keine Miſchung, die das Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht ſtill beim Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von künſtleriſcher ſpontaneer Auffaſſung, in allem wo ſie vergleicht: kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptſächlich, nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer ſelbſt: letz- ter Schlußſtein der Künſtlernatur. Da man jetzt eine Anſtalt in Paris hat, alle mögliche deutſche Zeitſchriften (las ich neu- lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig- keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Proſa), nach den Aufgeregten (politiſches Drama), in Goethe’s neuer Aus- gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe’s Rhein und Main; drei Hefte ſind da. Suchen Sie Oelsner auf, der weiß alles, iſt grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich. Sie führen ja etwas Abſcheuliches in Ihrem letzten Brief an, lieber Aſtolf! „Car malgré tout l’orgueil du raisonnement c’est toujours ce qu’on fait qui finit par régler ce qu’on pense.”

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/557>, abgerufen am 22.11.2024.