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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die
Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgestandene Krankheiten
machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis
jetzt wohl, leistet aber jetzt eben seinen Zoll im Bette -- wo-
vor ich schreibe -- durch ein katarrhalisches Übel; welches aber
so wohl bald geheilt sein wird! Ich bin immer in einem kon-
valeszenten Zustand; für Andere gesund, für mich nicht. Doch
bin ich so mit der jetzigen Himmelsluft entzweit -- gespannt,
hätte ich sagen sollen -- daß ich schon drei Wochen gar nicht
mehr ausgehe. Bis zu dieser Zeit hatten wir wärmliches, oft
schönes Wetter; seit der Zeit aber ist der Winter trocken, ohne
Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieselbe Zeit
starb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich sehr
affizirt, da ich ihm persönlich sehr gut war: und das größte
Grauen -- terreur -- vor Brustbeklemmung aus Erfahrung
habe. Dieses Ereigniß hat auch die Stadt sehr still gemacht;
das Theater -- das Aug -- geschlossen; die Gesellschaften ge-
hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So ist es
äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater ist für mich wie ein
Mensch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne
Kours. In unsern Zeiten und Städten ist ja dies das ein-
zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geistes, des
Antheils und Zusammenkommens -- auch nur -- aller Klas-
sen gezogen ist. Nichts desto weniger applaudir' ich Sie doch,
daß Sie nicht in's Theater gehen: d. h. es macht mir Ver-
gnügen. Lassen Sie sich gestehen, daß kein Theater in der
Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner --
seit Iffland, -- erstlich, weil keines mich so interessirt hat;

II. 36

und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die
Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgeſtandene Krankheiten
machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis
jetzt wohl, leiſtet aber jetzt eben ſeinen Zoll im Bette — wo-
vor ich ſchreibe — durch ein katarrhaliſches Übel; welches aber
ſo wohl bald geheilt ſein wird! Ich bin immer in einem kon-
valeszenten Zuſtand; für Andere geſund, für mich nicht. Doch
bin ich ſo mit der jetzigen Himmelsluft entzweit — geſpannt,
hätte ich ſagen ſollen — daß ich ſchon drei Wochen gar nicht
mehr ausgehe. Bis zu dieſer Zeit hatten wir wärmliches, oft
ſchönes Wetter; ſeit der Zeit aber iſt der Winter trocken, ohne
Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieſelbe Zeit
ſtarb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich ſehr
affizirt, da ich ihm perſönlich ſehr gut war: und das größte
Grauen — terreur — vor Bruſtbeklemmung aus Erfahrung
habe. Dieſes Ereigniß hat auch die Stadt ſehr ſtill gemacht;
das Theater — das Aug — geſchloſſen; die Geſellſchaften ge-
hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So iſt es
äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater iſt für mich wie ein
Menſch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne
Kours. In unſern Zeiten und Städten iſt ja dies das ein-
zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geiſtes, des
Antheils und Zuſammenkommens — auch nur — aller Klaſ-
ſen gezogen iſt. Nichts deſto weniger applaudir’ ich Sie doch,
daß Sie nicht in’s Theater gehen: d. h. es macht mir Ver-
gnügen. Laſſen Sie ſich geſtehen, daß kein Theater in der
Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner —
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II. 36
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[561/0569] und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgeſtandene Krankheiten machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis jetzt wohl, leiſtet aber jetzt eben ſeinen Zoll im Bette — wo- vor ich ſchreibe — durch ein katarrhaliſches Übel; welches aber ſo wohl bald geheilt ſein wird! Ich bin immer in einem kon- valeszenten Zuſtand; für Andere geſund, für mich nicht. Doch bin ich ſo mit der jetzigen Himmelsluft entzweit — geſpannt, hätte ich ſagen ſollen — daß ich ſchon drei Wochen gar nicht mehr ausgehe. Bis zu dieſer Zeit hatten wir wärmliches, oft ſchönes Wetter; ſeit der Zeit aber iſt der Winter trocken, ohne Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieſelbe Zeit ſtarb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich ſehr affizirt, da ich ihm perſönlich ſehr gut war: und das größte Grauen — terreur — vor Bruſtbeklemmung aus Erfahrung habe. Dieſes Ereigniß hat auch die Stadt ſehr ſtill gemacht; das Theater — das Aug — geſchloſſen; die Geſellſchaften ge- hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So iſt es äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater iſt für mich wie ein Menſch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne Kours. In unſern Zeiten und Städten iſt ja dies das ein- zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geiſtes, des Antheils und Zuſammenkommens — auch nur — aller Klaſ- ſen gezogen iſt. Nichts deſto weniger applaudir’ ich Sie doch, daß Sie nicht in’s Theater gehen: d. h. es macht mir Ver- gnügen. Laſſen Sie ſich geſtehen, daß kein Theater in der Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner — ſeit Iffland, — erſtlich, weil keines mich ſo intereſſirt hat; II. 36

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/569>, abgerufen am 22.11.2024.