dann, giebt es keines mehr (es hat aber schon angesteckt!) mit solchen steifen Prätensionen an sich selbst. Es ist eine Zwangsanstalt für Schauspieler und Publikum in allen Rück- sichten, nach und nach geworden -- das wird Schulz wis- sen! -- Jetzt braucht man nur die Rezensionen in den Berli- ner Zeitungen zu lesen; um über die ganz inhaltleeren An- sprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, -- wie sie hier sagen, oder: alle Zustände. (So eben ist General Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und seine baldige Abreise nach Wien vermelden.) Es freut mich also, daß Sie Rache für mich nehmen, an dieser Anstalt! die so viel gute Elemente so hartnäckig und langjährig zu ersticken bemüht ist. Um so mehr aber noch gefielen mir Ihre schönen Verse über Milders-Töne. Es hebt so richtig aus Ihren damaligen Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieses Gedicht: das ist bei mir eine große Hauptsache; nämlich das Wirkliche eines Gedichts. Ist das prosaisch? mich dünkt nicht; -- ich halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es müssen nämlich welche sein; sie gehn aber nur aus dem wah- ren wahrgenommenen Seelenzustand hervor: und darum ge- fallen mir oft die pausbackigsten, mit noch so dithyrambischen Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und aus eben dem Grunde Ihre oft so sehr. Die Sappho möcht' ich gerne sehen; Auszüge haben mir davon gar sehr gefallen: auch sagte uns Mad. Schröder diesen August hier ganze Sce- nen davon bewundrungswürdig. Mir ist Mad. Wolff von je her -- ich kenne sie aus Berliner Gastrollen -- nicht genug von innen kräftig gewesen. Doch mag sie viel gelernt, und
dann, giebt es keines mehr (es hat aber ſchon angeſteckt!) mit ſolchen ſteifen Prätenſionen an ſich ſelbſt. Es iſt eine Zwangsanſtalt für Schauſpieler und Publikum in allen Rück- ſichten, nach und nach geworden — das wird Schulz wiſ- ſen! — Jetzt braucht man nur die Rezenſionen in den Berli- ner Zeitungen zu leſen; um über die ganz inhaltleeren An- ſprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, — wie ſie hier ſagen, oder: alle Zuſtände. (So eben iſt General Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und ſeine baldige Abreiſe nach Wien vermelden.) Es freut mich alſo, daß Sie Rache für mich nehmen, an dieſer Anſtalt! die ſo viel gute Elemente ſo hartnäckig und langjährig zu erſticken bemüht iſt. Um ſo mehr aber noch gefielen mir Ihre ſchönen Verſe über Milders-Töne. Es hebt ſo richtig aus Ihren damaligen Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieſes Gedicht: das iſt bei mir eine große Hauptſache; nämlich das Wirkliche eines Gedichts. Iſt das proſaiſch? mich dünkt nicht; — ich halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es müſſen nämlich welche ſein; ſie gehn aber nur aus dem wah- ren wahrgenommenen Seelenzuſtand hervor: und darum ge- fallen mir oft die pausbackigſten, mit noch ſo dithyrambiſchen Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und aus eben dem Grunde Ihre oft ſo ſehr. Die Sappho möcht’ ich gerne ſehen; Auszüge haben mir davon gar ſehr gefallen: auch ſagte uns Mad. Schröder dieſen Auguſt hier ganze Sce- nen davon bewundrungswürdig. Mir iſt Mad. Wolff von je her — ich kenne ſie aus Berliner Gaſtrollen — nicht genug von innen kräftig geweſen. Doch mag ſie viel gelernt, und
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dann, giebt es keines mehr (es hat aber ſchon angeſteckt!)
mit ſolchen ſteifen Prätenſionen an ſich ſelbſt. Es iſt eine
Zwangsanſtalt für Schauſpieler und Publikum in allen Rück-
ſichten, nach und nach geworden — das wird Schulz wiſ-
ſen! — Jetzt braucht man nur die Rezenſionen in den Berli-
ner Zeitungen zu leſen; um über die ganz inhaltleeren An-
ſprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, — wie
ſie hier ſagen, oder: alle Zuſtände. (So eben iſt General
Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und ſeine baldige
Abreiſe nach Wien vermelden.) Es freut mich alſo, daß Sie
Rache für mich nehmen, an dieſer Anſtalt! die ſo viel gute
Elemente ſo hartnäckig und langjährig zu erſticken bemüht
iſt. Um ſo mehr aber noch gefielen mir Ihre ſchönen Verſe
über Milders-Töne. Es hebt ſo richtig aus Ihren damaligen
Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieſes Gedicht:
das iſt bei mir eine große Hauptſache; nämlich das Wirkliche
eines Gedichts. Iſt das proſaiſch? mich dünkt nicht; — ich
halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es
müſſen nämlich welche ſein; ſie gehn aber nur aus dem wah-
ren wahrgenommenen Seelenzuſtand hervor: und darum ge-
fallen mir oft die pausbackigſten, mit noch ſo dithyrambiſchen
Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und
aus eben dem Grunde Ihre oft ſo ſehr. Die Sappho möcht’
ich gerne ſehen; Auszüge haben mir davon gar ſehr gefallen:
auch ſagte uns Mad. Schröder dieſen Auguſt hier ganze Sce-
nen davon bewundrungswürdig. Mir iſt Mad. Wolff von
je her — ich kenne ſie aus Berliner Gaſtrollen — nicht genug
von innen kräftig geweſen. Doch mag ſie viel gelernt, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/570>, abgerufen am 22.11.2024.
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