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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach schwer
sein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen
zu stark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono-
mie, und allen Ernst, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man
merkt stark, daß Etwas sehr traurig ist; und meint es mit
Ernst, Schwitzen, Fasten und Darben, thätigen Mienen,
und großem Anlauf ohne Ziel -- wozu man einen Zweck
und Grund haben muß -- abhelfen zu können! Dem freu-
digen gesunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge-
genstand nur die Wahrheit -- heißt, ihr ungehemmter, natür-
licher Zusammenhang -- gefällt, dem lasse man freien Lauf,
und man wird keine Trauer-Mienen und Anstalten, keine auf
das innerste Leben sich beziehende Ökonomie mehr brauchen.
Wahrheit raus! Wahrheit aus den düstern Löchern! Solch
Jagdgeschrei möcht' ich Einmal hören. Welch flottes Leben
ginge nach solcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber
nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort,
und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie
größere Mittel haben; Sie sind schön, und Sie haben ein
Talent, und eine Stelle. Immer nur die Wahrheit, und
immer wieder; und sollte sie auch nur als Samen ausgebracht
werden müssen. Dies ist die ganze Kraft des Geistes, da
wirkt er in die Natur ein, absolut wie sie; immer neu, un-
fehlbar
befruchtend. Und ich will die weiße Fahne sein, wie
Klärchen im Egmont; und selbst meine Lumpen gebrauchen:
ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne,
Einen dem Andern zuweisen, zeigen. Ich habe jetzt einen
neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab'

ihn

Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach ſchwer
ſein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen
zu ſtark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono-
mie, und allen Ernſt, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man
merkt ſtark, daß Etwas ſehr traurig iſt; und meint es mit
Ernſt, Schwitzen, Faſten und Darben, thätigen Mienen,
und großem Anlauf ohne Ziel — wozu man einen Zweck
und Grund haben muß — abhelfen zu können! Dem freu-
digen geſunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge-
genſtand nur die Wahrheit — heißt, ihr ungehemmter, natür-
licher Zuſammenhang — gefällt, dem laſſe man freien Lauf,
und man wird keine Trauer-Mienen und Anſtalten, keine auf
das innerſte Leben ſich beziehende Ökonomie mehr brauchen.
Wahrheit raus! Wahrheit aus den düſtern Löchern! Solch
Jagdgeſchrei möcht’ ich Einmal hören. Welch flottes Leben
ginge nach ſolcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber
nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort,
und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie
größere Mittel haben; Sie ſind ſchön, und Sie haben ein
Talent, und eine Stelle. Immer nur die Wahrheit, und
immer wieder; und ſollte ſie auch nur als Samen ausgebracht
werden müſſen. Dies iſt die ganze Kraft des Geiſtes, da
wirkt er in die Natur ein, abſolut wie ſie; immer neu, un-
fehlbar
befruchtend. Und ich will die weiße Fahne ſein, wie
Klärchen im Egmont; und ſelbſt meine Lumpen gebrauchen:
ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne,
Einen dem Andern zuweiſen, zeigen. Ich habe jetzt einen
neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab’

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[576/0584] Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach ſchwer ſein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen zu ſtark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono- mie, und allen Ernſt, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man merkt ſtark, daß Etwas ſehr traurig iſt; und meint es mit Ernſt, Schwitzen, Faſten und Darben, thätigen Mienen, und großem Anlauf ohne Ziel — wozu man einen Zweck und Grund haben muß — abhelfen zu können! Dem freu- digen geſunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge- genſtand nur die Wahrheit — heißt, ihr ungehemmter, natür- licher Zuſammenhang — gefällt, dem laſſe man freien Lauf, und man wird keine Trauer-Mienen und Anſtalten, keine auf das innerſte Leben ſich beziehende Ökonomie mehr brauchen. Wahrheit raus! Wahrheit aus den düſtern Löchern! Solch Jagdgeſchrei möcht’ ich Einmal hören. Welch flottes Leben ginge nach ſolcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort, und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie größere Mittel haben; Sie ſind ſchön, und Sie haben ein Talent, und eine Stelle. Immer nur die Wahrheit, und immer wieder; und ſollte ſie auch nur als Samen ausgebracht werden müſſen. Dies iſt die ganze Kraft des Geiſtes, da wirkt er in die Natur ein, abſolut wie ſie; immer neu, un- fehlbar befruchtend. Und ich will die weiße Fahne ſein, wie Klärchen im Egmont; und ſelbſt meine Lumpen gebrauchen: ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne, Einen dem Andern zuweiſen, zeigen. Ich habe jetzt einen neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab’ ihn

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/584>, abgerufen am 22.11.2024.