ihn nie gesehen. Den preise ich Ihnen dringend an! Er schreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal- ten, oder noch viel besser! machen, daß es auf dem Casino gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geistreichste, Witzigste, was jetzt geschrieben würde; er empfahl es mit dem enthusiastischsten Lobe; seit Lessing, sagte er mir -- nur ein Artikel darin -- seien solche Theaterkritiken nicht erschienen! Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk sein Lob: an Witz, schöner Schreibart. Er ist scharf, tief, gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodisch, ganz neu, ge- lassen wie einer der guten Alten; empört, wie man soll. Und so gewiß ich lebe, ein sehr rechtschaffener Mann. Keck, aber besonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie seine Thea- terkritik lesen, und nie die Stücke gesehen haben, die sie be- trifft, so kennen Sie sie, als hätten Sie sie vor sich. Den Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeschafft wird, bei allen Ihren Freunden. Sie lachen sich gesund. Andres von ihm kenne ich nicht. Gentz tadelte stark seine politischen Meinun- gen, fand aber begreiflich, daß er sie hätte. -- Varnhagen ist enchantirt über den Succeß seines Uhland. -- Rausgerufen! "Hochzeitball!" Aus den Erbschleichern. -- Man sagte uns, Hof und Adel sei nicht viel bei der Vorstellung gewesen. Schade! Solche schöne Bewegung unter den Leuten sollte nicht ohne sie Statt haben. Falsch! Hof! falsch! Erster Rang! Robert freute sich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen Sie den stummen Uhland von mir. Selbst der größte Dich- ter muß sprechen: er hindert mich ja, seine Werke zu lesen,
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ihn nie geſehen. Den preiſe ich Ihnen dringend an! Er ſchreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal- ten, oder noch viel beſſer! machen, daß es auf dem Caſino gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geiſtreichſte, Witzigſte, was jetzt geſchrieben würde; er empfahl es mit dem enthuſiaſtiſchſten Lobe; ſeit Leſſing, ſagte er mir — nur ein Artikel darin — ſeien ſolche Theaterkritiken nicht erſchienen! Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk ſein Lob: an Witz, ſchöner Schreibart. Er iſt ſcharf, tief, gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodiſch, ganz neu, ge- laſſen wie einer der guten Alten; empört, wie man ſoll. Und ſo gewiß ich lebe, ein ſehr rechtſchaffener Mann. Keck, aber beſonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie ſeine Thea- terkritik leſen, und nie die Stücke geſehen haben, die ſie be- trifft, ſo kennen Sie ſie, als hätten Sie ſie vor ſich. Den Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeſchafft wird, bei allen Ihren Freunden. Sie lachen ſich geſund. Andres von ihm kenne ich nicht. Gentz tadelte ſtark ſeine politiſchen Meinun- gen, fand aber begreiflich, daß er ſie hätte. — Varnhagen iſt enchantirt über den Succeß ſeines Uhland. — Rausgerufen! „Hochzeitball!“ Aus den Erbſchleichern. — Man ſagte uns, Hof und Adel ſei nicht viel bei der Vorſtellung geweſen. Schade! Solche ſchöne Bewegung unter den Leuten ſollte nicht ohne ſie Statt haben. Falſch! Hof! falſch! Erſter Rang! Robert freute ſich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen Sie den ſtummen Uhland von mir. Selbſt der größte Dich- ter muß ſprechen: er hindert mich ja, ſeine Werke zu leſen,
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ihn nie geſehen. Den preiſe ich Ihnen dringend an! Er
ſchreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal-
ten, oder noch viel beſſer! machen, daß es auf dem Caſino
gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geiſtreichſte,
Witzigſte, was jetzt geſchrieben würde; er empfahl es mit dem
enthuſiaſtiſchſten Lobe; ſeit Leſſing, ſagte er mir — nur ein
Artikel darin — ſeien ſolche Theaterkritiken nicht erſchienen!
Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk
ſein Lob: an Witz, ſchöner Schreibart. Er iſt ſcharf, tief,
gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodiſch, ganz neu, ge-
laſſen wie einer der guten Alten; empört, wie man ſoll. Und
ſo gewiß ich lebe, ein ſehr rechtſchaffener Mann. Keck, aber
beſonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie ſeine Thea-
terkritik leſen, und nie die Stücke geſehen haben, die ſie be-
trifft, ſo kennen Sie ſie, als hätten Sie ſie vor ſich. Den
Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den
ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeſchafft wird, bei allen
Ihren Freunden. Sie lachen ſich geſund. Andres von ihm
kenne ich nicht. Gentz tadelte ſtark ſeine politiſchen Meinun-
gen, fand aber begreiflich, daß er ſie hätte. — Varnhagen iſt
enchantirt über den Succeß ſeines Uhland. — Rausgerufen!
„Hochzeitball!“ Aus den Erbſchleichern. — Man ſagte uns,
Hof und Adel ſei nicht viel bei der Vorſtellung geweſen.
Schade! Solche ſchöne Bewegung unter den Leuten ſollte nicht
ohne ſie Statt haben. Falſch! Hof! falſch! Erſter Rang!
Robert freute ſich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen
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ter muß ſprechen: er hindert mich ja, ſeine Werke zu leſen,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/585>, abgerufen am 22.11.2024.
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