meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel Zeit, mit allem was sie bringen kann, ist verflossen; zu viel Neues, Verwirrtes, Großes ist geschehen, sperrt den Rachen über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut- lichste Bewußtsein was ich kann und will, in ewigen Krie- gen gegen mich selbst, als Beute errungen, mir nur irgend genieß- oder nutzbar wäre. Denken Sie sich mich reifer, fort- geschrittener, erdrückter, aber eben wie sonst; und ließe man mir Luft, vergnügt und kindisch. Gesund, mäßig. In ange- nehmen Verhältnissen, gar nicht. Furcht, über die Maßen. Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachschrift von mir ist das, daß ich heute vielleicht am wenigsten bereitet, und ge- macht bin nur irgend zu schreiben, und am allerwenigsten Ih- nen, der mir alles Alte zur höchsten Paralysirung des später Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in allen seinen Details gleich übergeben möchte. General Neip- perg aber, den ich nur von Ansehn kenne, und der meine Exi- stenz nicht weiß, wird für gute Worte diesen Brief mitnehmen. Schon längst verwahrt' ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt; es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel- leicht an die Spitze derselben kommen. Mich hat es unend- lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder böse, noch erstaunt, daß Sie nicht schreiben: man kann nur viel und mit Annehmlichkeit schreiben, wenn man denselben Vor- mittag Antwort haben kann. Daß wir dieselben sind, brau- chen wir uns nicht zu versichern; oder es wäre gar nicht wahr. Gestern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, dessen Frau meine liebe Freundin ist, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar-
meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel Zeit, mit allem was ſie bringen kann, iſt verfloſſen; zu viel Neues, Verwirrtes, Großes iſt geſchehen, ſperrt den Rachen über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut- lichſte Bewußtſein was ich kann und will, in ewigen Krie- gen gegen mich ſelbſt, als Beute errungen, mir nur irgend genieß- oder nutzbar wäre. Denken Sie ſich mich reifer, fort- geſchrittener, erdrückter, aber eben wie ſonſt; und ließe man mir Luft, vergnügt und kindiſch. Geſund, mäßig. In ange- nehmen Verhältniſſen, gar nicht. Furcht, über die Maßen. Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachſchrift von mir iſt das, daß ich heute vielleicht am wenigſten bereitet, und ge- macht bin nur irgend zu ſchreiben, und am allerwenigſten Ih- nen, der mir alles Alte zur höchſten Paralyſirung des ſpäter Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in allen ſeinen Details gleich übergeben möchte. General Neip- perg aber, den ich nur von Anſehn kenne, und der meine Exi- ſtenz nicht weiß, wird für gute Worte dieſen Brief mitnehmen. Schon längſt verwahrt’ ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt; es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel- leicht an die Spitze derſelben kommen. Mich hat es unend- lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder böſe, noch erſtaunt, daß Sie nicht ſchreiben: man kann nur viel und mit Annehmlichkeit ſchreiben, wenn man denſelben Vor- mittag Antwort haben kann. Daß wir dieſelben ſind, brau- chen wir uns nicht zu verſichern; oder es wäre gar nicht wahr. Geſtern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, deſſen Frau meine liebe Freundin iſt, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar-
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meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel
Zeit, mit allem was ſie bringen kann, iſt verfloſſen; zu viel
Neues, Verwirrtes, Großes iſt geſchehen, ſperrt den Rachen
über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut-
lichſte Bewußtſein was ich kann und will, in ewigen Krie-
gen gegen mich ſelbſt, als Beute errungen, mir nur irgend
genieß- oder nutzbar wäre. Denken Sie ſich mich reifer, fort-
geſchrittener, erdrückter, aber eben wie ſonſt; und ließe man
mir Luft, vergnügt und kindiſch. Geſund, mäßig. In ange-
nehmen Verhältniſſen, gar nicht. Furcht, über die Maßen.
Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachſchrift von mir
iſt das, daß ich heute vielleicht am wenigſten bereitet, und ge-
macht bin nur irgend zu ſchreiben, und am allerwenigſten Ih-
nen, der mir alles Alte zur höchſten Paralyſirung des ſpäter
Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in
allen ſeinen Details gleich übergeben möchte. General Neip-
perg aber, den ich nur von Anſehn kenne, und der meine Exi-
ſtenz nicht weiß, wird für gute Worte dieſen Brief mitnehmen.
Schon längſt verwahrt’ ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt;
es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel-
leicht an die Spitze derſelben kommen. Mich hat es unend-
lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder
böſe, noch erſtaunt, daß Sie nicht ſchreiben: man kann nur
viel und mit Annehmlichkeit ſchreiben, wenn man denſelben Vor-
mittag Antwort haben kann. Daß wir dieſelben ſind, brau-
chen wir uns nicht zu verſichern; oder es wäre gar nicht wahr.
Geſtern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, deſſen Frau
meine liebe Freundin iſt, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/85>, abgerufen am 21.11.2024.
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