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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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ist das eine allgemeine, konzentrirte Menschenseele, ein solcher
Menschengeist, der das in sich aufnehmen kann, was das
schwache Geschlecht nur in Einzelnen davon verschlendert hat:
dies nennt man Genie: und kann ein solcher es Andern in
Bildern aufdrängen, so ist's ein Künstler. Von außer-
menschlichen Zuständen kann aber bei keinem Menschen die
Rede sein: selbst wenn er faselt, kann er nur Zusammenge-
hörendes verwirren: Künstler thun das oft scheinbar, sind aber
Herren ihrer Ausflüge.

S. 118, Über Natur. So? Alles Liebliche vergißt er?
Alle Regelmäßigkeit? In der Natur ist vielmehr alles, was
wir zu fassen vermögen: gesehen in dem Spiegel unsers In-
nern. Eins nur ist anders dort, und anders hier. Recht
braucht die Natur nicht zu haben. Und darum ist sie immer
erquickend; der Betrachtung nach gewiß. Paßt sie schön zu
uns, so ist sie sittlich in ihrer Art, lieblich. Sie ist nur eine
große Persönlichkeit in ihrer Art; wir kennen aber uns ähn-
liche; das ist der Knoten! -- Nehmen wir alle Menschen --
wie wir müssen -- für Eine Person, und die Natur auch für
Eine: gleich ist der Kampf, die Mühe da; sie weiß nichts
davon: ich glaube als Menschen erkennt sie uns nicht an.
Zum Glück haben wir auch keine Pflichten gegen sie; sie
zwingt uns bloß. --

S. 191. Unter anderm falsch über Tasso, und was er
über den Dichter sagt, und dessen Reichthum und Mangel
darstellt. Tasso's Unglück ist das Unglück eines gutbesaiteten
Menschen, ob er Lieder gespielt hat, oder nicht; Gesetze, die
nicht für ihn gemacht sind, tödten ihn. --


iſt das eine allgemeine, konzentrirte Menſchenſeele, ein ſolcher
Menſchengeiſt, der das in ſich aufnehmen kann, was das
ſchwache Geſchlecht nur in Einzelnen davon verſchlendert hat:
dies nennt man Genie: und kann ein ſolcher es Andern in
Bildern aufdrängen, ſo iſt’s ein Künſtler. Von außer-
menſchlichen Zuſtänden kann aber bei keinem Menſchen die
Rede ſein: ſelbſt wenn er faſelt, kann er nur Zuſammenge-
hörendes verwirren: Künſtler thun das oft ſcheinbar, ſind aber
Herren ihrer Ausflüge.

S. 118, Über Natur. So? Alles Liebliche vergißt er?
Alle Regelmäßigkeit? In der Natur iſt vielmehr alles, was
wir zu faſſen vermögen: geſehen in dem Spiegel unſers In-
nern. Eins nur iſt anders dort, und anders hier. Recht
braucht die Natur nicht zu haben. Und darum iſt ſie immer
erquickend; der Betrachtung nach gewiß. Paßt ſie ſchön zu
uns, ſo iſt ſie ſittlich in ihrer Art, lieblich. Sie iſt nur eine
große Perſönlichkeit in ihrer Art; wir kennen aber uns ähn-
liche; das iſt der Knoten! — Nehmen wir alle Menſchen —
wie wir müſſen — für Eine Perſon, und die Natur auch für
Eine: gleich iſt der Kampf, die Mühe da; ſie weiß nichts
davon: ich glaube als Menſchen erkennt ſie uns nicht an.
Zum Glück haben wir auch keine Pflichten gegen ſie; ſie
zwingt uns bloß. —

S. 191. Unter anderm falſch über Taſſo, und was er
über den Dichter ſagt, und deſſen Reichthum und Mangel
darſtellt. Taſſo’s Unglück iſt das Unglück eines gutbeſaiteten
Menſchen, ob er Lieder geſpielt hat, oder nicht; Geſetze, die
nicht für ihn gemacht ſind, tödten ihn. —


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[95/0103] iſt das eine allgemeine, konzentrirte Menſchenſeele, ein ſolcher Menſchengeiſt, der das in ſich aufnehmen kann, was das ſchwache Geſchlecht nur in Einzelnen davon verſchlendert hat: dies nennt man Genie: und kann ein ſolcher es Andern in Bildern aufdrängen, ſo iſt’s ein Künſtler. Von außer- menſchlichen Zuſtänden kann aber bei keinem Menſchen die Rede ſein: ſelbſt wenn er faſelt, kann er nur Zuſammenge- hörendes verwirren: Künſtler thun das oft ſcheinbar, ſind aber Herren ihrer Ausflüge. S. 118, Über Natur. So? Alles Liebliche vergißt er? Alle Regelmäßigkeit? In der Natur iſt vielmehr alles, was wir zu faſſen vermögen: geſehen in dem Spiegel unſers In- nern. Eins nur iſt anders dort, und anders hier. Recht braucht die Natur nicht zu haben. Und darum iſt ſie immer erquickend; der Betrachtung nach gewiß. Paßt ſie ſchön zu uns, ſo iſt ſie ſittlich in ihrer Art, lieblich. Sie iſt nur eine große Perſönlichkeit in ihrer Art; wir kennen aber uns ähn- liche; das iſt der Knoten! — Nehmen wir alle Menſchen — wie wir müſſen — für Eine Perſon, und die Natur auch für Eine: gleich iſt der Kampf, die Mühe da; ſie weiß nichts davon: ich glaube als Menſchen erkennt ſie uns nicht an. Zum Glück haben wir auch keine Pflichten gegen ſie; ſie zwingt uns bloß. — S. 191. Unter anderm falſch über Taſſo, und was er über den Dichter ſagt, und deſſen Reichthum und Mangel darſtellt. Taſſo’s Unglück iſt das Unglück eines gutbeſaiteten Menſchen, ob er Lieder geſpielt hat, oder nicht; Geſetze, die nicht für ihn gemacht ſind, tödten ihn. —

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/103>, abgerufen am 22.11.2024.