in ein anderes Gebiet gekommen; er scheint nicht mehr die Religion in uns zu betrachten, sondern die Weisheit des Weltgeistes. Doch agirt der unter großen Hemmungen, von deren Grund, oder unserer Uneinsicht in denselben, nicht ge- redet wird. Herrlich sagt er da, was das Geschäft des Jahr- hunderts und des Augenblicks ist. -- S. 146. Von Reue spricht er. Darüber ist viel zu sagen. Er sagt: Sittlichkeit bereut nur die verlorne Zeit. Nicht doch! das Unwiederbring- liche der That, die in ihren Folgen nicht mehr einzuholen ist. Reue, häßlich gehandelt zu haben, wenn ich die Möglichkeit davon zugebe, reiniget gleich die Seele. Hier ist viel zu sagen. -- --
S. 154. sagt er selbst, Gnadenwirkung sei der gemein- schaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung. Über- haupt, weiter kann die Philosophie nicht gehen in Erklärung der künstlichen Ausdrücke! -- S. 155. Spricht er über Glau- ben endlich, wie von allen Kanzeln sollte gesprochen werden. Er zeigt, welcher verachtet werden sollte, und welchen ich ver- achte. -- --
S. 163. Er beweist, das Bedürfniß für Religion sei welche: er sagt dies aber nicht: sondern nur, sich Gott als Person denken, sei unzulänglich: ihn sich als starre Nothwen- digkeit denken, wieder. Also wie ich: als höhern Geist, von welchem ich nur das mir Zugetheilte fasse. -- Anmerkung Nr. 19. Wie ganz vortrefflich gesagt: wie tief, und wie in den verschiedenen Menschen geschaut, wann sie sich Gott per- sönlich, wann anders denken müssen. Wie wenige Lehrer
in ein anderes Gebiet gekommen; er ſcheint nicht mehr die Religion in uns zu betrachten, ſondern die Weisheit des Weltgeiſtes. Doch agirt der unter großen Hemmungen, von deren Grund, oder unſerer Uneinſicht in denſelben, nicht ge- redet wird. Herrlich ſagt er da, was das Geſchäft des Jahr- hunderts und des Augenblicks iſt. — S. 146. Von Reue ſpricht er. Darüber iſt viel zu ſagen. Er ſagt: Sittlichkeit bereut nur die verlorne Zeit. Nicht doch! das Unwiederbring- liche der That, die in ihren Folgen nicht mehr einzuholen iſt. Reue, häßlich gehandelt zu haben, wenn ich die Möglichkeit davon zugebe, reiniget gleich die Seele. Hier iſt viel zu ſagen. — —
S. 154. ſagt er ſelbſt, Gnadenwirkung ſei der gemein- ſchaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung. Über- haupt, weiter kann die Philoſophie nicht gehen in Erklärung der künſtlichen Ausdrücke! — S. 155. Spricht er über Glau- ben endlich, wie von allen Kanzeln ſollte geſprochen werden. Er zeigt, welcher verachtet werden ſollte, und welchen ich ver- achte. — —
S. 163. Er beweiſt, das Bedürfniß für Religion ſei welche: er ſagt dies aber nicht: ſondern nur, ſich Gott als Perſon denken, ſei unzulänglich: ihn ſich als ſtarre Nothwen- digkeit denken, wieder. Alſo wie ich: als höhern Geiſt, von welchem ich nur das mir Zugetheilte faſſe. — Anmerkung Nr. 19. Wie ganz vortrefflich geſagt: wie tief, und wie in den verſchiedenen Menſchen geſchaut, wann ſie ſich Gott per- ſönlich, wann anders denken müſſen. Wie wenige Lehrer
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in ein anderes Gebiet gekommen; er ſcheint nicht mehr die
Religion in uns zu betrachten, ſondern die Weisheit des
Weltgeiſtes. Doch agirt der unter großen Hemmungen, von
deren Grund, oder unſerer Uneinſicht in denſelben, nicht ge-
redet wird. Herrlich ſagt er da, was das Geſchäft des Jahr-
hunderts und des Augenblicks iſt. — S. 146. Von Reue
ſpricht er. Darüber iſt viel zu ſagen. Er ſagt: Sittlichkeit
bereut nur die verlorne Zeit. Nicht doch! das Unwiederbring-
liche der That, die in ihren Folgen nicht mehr einzuholen iſt.
Reue, häßlich gehandelt zu haben, wenn ich die Möglichkeit
davon zugebe, reiniget gleich die Seele. Hier iſt viel zu
ſagen. — —
S. 154. ſagt er ſelbſt, Gnadenwirkung ſei der gemein-
ſchaftliche Ausdruck für Offenbarung und Eingebung. Über-
haupt, weiter kann die Philoſophie nicht gehen in Erklärung
der künſtlichen Ausdrücke! — S. 155. Spricht er über Glau-
ben endlich, wie von allen Kanzeln ſollte geſprochen werden.
Er zeigt, welcher verachtet werden ſollte, und welchen ich ver-
achte. — —
S. 163. Er beweiſt, das Bedürfniß für Religion ſei
welche: er ſagt dies aber nicht: ſondern nur, ſich Gott als
Perſon denken, ſei unzulänglich: ihn ſich als ſtarre Nothwen-
digkeit denken, wieder. Alſo wie ich: als höhern Geiſt, von
welchem ich nur das mir Zugetheilte faſſe. — Anmerkung
Nr. 19. Wie ganz vortrefflich geſagt: wie tief, und wie in
den verſchiedenen Menſchen geſchaut, wann ſie ſich Gott per-
ſönlich, wann anders denken müſſen. Wie wenige Lehrer
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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