Dieses ist das positive, jenes das negative A. Die Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom ersten) die größte Repräsentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich vielen andern Eigenschaften, aus denen ihre Gesangkunst be- stand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was unschuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als Einfall erscheint, ist nicht in vielen Jahren durch ehrliche strenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geschieht solchen Gröblingen recht; bei ihnen geht's nicht so zu; und darum glauben sie, auch Andre sprechen um zu frappiren, und ihrer Seele seien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich- gültig, wie sie es selbst treiben. Mit solchen Leuten sollte man nur Scherz treiben, worin sie sich wie in große Netze verwickeln müssen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab' ich heute gelernt. --
1823.
Wissen um unser Wissen ist Philosophie. Ergebenheit und Voraussetzung, wo wir zu wissen aufhören, Religion. Dies begreift in sich, was alles nicht Religion ist, und des Wissens Gränze auf allen seinen Punkten; und erspart viel Reden. Beim Lesen der Schleiermacher'schen Reden über Re- ligion S. 136. Hemsterhuis sagt: Religion ist die freie Be- ziehung jedes Individuums auf's höchste Wesen.
Sommer 1823.
Bitter und Süß ist: als ob sie auf den Gemüthszustand wirkten: Salzig und Sauer, als den Geist berührend. Ein
zu
Dieſes iſt das poſitive, jenes das negative A. Die Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be- ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als Einfall erſcheint, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht ſolchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht ſo zu; und darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich- gültig, wie ſie es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich heute gelernt. —
1823.
Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion. Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re- ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be- ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.
Sommer 1823.
Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein
zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0120"n="112"/>
Dieſes iſt das <hirendition="#g">poſitive</hi>, jenes das <hirendition="#g">negative</hi> A. Die<lb/>
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die<lb/>
größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich<lb/>
vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be-<lb/>ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was<lb/>
unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als<lb/>
Einfall <hirendition="#g">erſcheint</hi>, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche<lb/>ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht<lb/>ſolchen Gröblingen recht; bei <hirendition="#g">ihnen</hi> geht’s <hirendition="#g">nicht</hi>ſo zu; und<lb/>
darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und<lb/>
ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-<lb/>
gültig, wie <hirendition="#g">ſie</hi> es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte<lb/>
man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze<lb/>
verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich<lb/>
heute gelernt. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1823.</hi></dateline><lb/><p>Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit<lb/>
und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion.<lb/>
Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des<lb/>
Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel<lb/>
Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re-<lb/>
ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be-<lb/>
ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sommer 1823.</hi></dateline><lb/><p>Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand<lb/>
wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zu</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[112/0120]
Dieſes iſt das poſitive, jenes das negative A. Die
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die
größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich
vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be-
ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was
unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als
Einfall erſcheint, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche
ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht
ſolchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht ſo zu; und
darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und
ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-
gültig, wie ſie es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte
man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze
verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich
heute gelernt. —
1823.
Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit
und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion.
Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des
Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel
Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re-
ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be-
ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.
Sommer 1823.
Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand
wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein
zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/120>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.