kommene Abstraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk- samkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet ist. --
Sonntag, den 18. April 1824.
Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823. steht von Doktor Börne ein Aufsatz: "Altes Wissen, neues Leben." Jean-Paul'scher Anfang; ohne Nachahmung, sehr schön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil er viel getroffener ist, von den wirklichen Vorfällen; berührter, von den herrschenden Einrichtungen; und schwingt er sich ab von diesem Zustand zur Natur, so weiß er, daß die allein nicht aushilft, verliert sich nicht an ihrer Größe; nicht in ih- ren Einzelheiten; bald ist sie schlagender Stahl bei ihm; bald der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen, hervorleuchten müssen; die Fälle miteingerechnet, wo sie der Gesang wird, der die wehmüthigsten Töne aus den Saiten des Busens reißt; nicht so, als ob dann noch der Geist witzige Manieren hinein akkompagnirte; sondern die Wendung selbst, sich dann an Natur zu verlieren, ist da witzig.
Dieser Aufsatz ist voller Gedanken, und Gedankenanlässe. Mit ungestörtem Blick sieht er nach Jetzt, und Sonst. Mie zwanzig ihm zuströmenden Vergleichen und Witzworten schil- dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zustand der Alten, giebt Definitionen, die allein schon einen Band zum Buche machen könnten. "Um einer Wahrheit Dasein wird selten gestritten, auch nicht zwischen den feindlichsten Gesin- nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr- heit." Abschluß der meisten Verwirrung: Bezeichnung fast
kommene Abſtraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk- ſamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet iſt. —
Sonntag, den 18. April 1824.
Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823. ſteht von Doktor Börne ein Aufſatz: „Altes Wiſſen, neues Leben.“ Jean-Paul’ſcher Anfang; ohne Nachahmung, ſehr ſchön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil er viel getroffener iſt, von den wirklichen Vorfällen; berührter, von den herrſchenden Einrichtungen; und ſchwingt er ſich ab von dieſem Zuſtand zur Natur, ſo weiß er, daß die allein nicht aushilft, verliert ſich nicht an ihrer Größe; nicht in ih- ren Einzelheiten; bald iſt ſie ſchlagender Stahl bei ihm; bald der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen, hervorleuchten müſſen; die Fälle miteingerechnet, wo ſie der Geſang wird, der die wehmüthigſten Töne aus den Saiten des Buſens reißt; nicht ſo, als ob dann noch der Geiſt witzige Manieren hinein akkompagnirte; ſondern die Wendung ſelbſt, ſich dann an Natur zu verlieren, iſt da witzig.
Dieſer Aufſatz iſt voller Gedanken, und Gedankenanläſſe. Mit ungeſtörtem Blick ſieht er nach Jetzt, und Sonſt. Mie zwanzig ihm zuſtrömenden Vergleichen und Witzworten ſchil- dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zuſtand der Alten, giebt Definitionen, die allein ſchon einen Band zum Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Daſein wird ſelten geſtritten, auch nicht zwiſchen den feindlichſten Geſin- nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr- heit.“ Abſchluß der meiſten Verwirrung: Bezeichnung faſt
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kommene Abſtraktion gemacht; das heißt: für eine Aufmerk-
ſamkeit, die nur auf das innere Sein gerichtet iſt. —
Sonntag, den 18. April 1824.
Im Morgenblatt vom Montag den 13. Oktober 1823.
ſteht von Doktor Börne ein Aufſatz: „Altes Wiſſen, neues
Leben.“ Jean-Paul’ſcher Anfang; ohne Nachahmung, ſehr
ſchön! Aus einer viel traurigern Seele, als Richters. Weil
er viel getroffener iſt, von den wirklichen Vorfällen; berührter,
von den herrſchenden Einrichtungen; und ſchwingt er ſich ab
von dieſem Zuſtand zur Natur, ſo weiß er, daß die allein
nicht aushilft, verliert ſich nicht an ihrer Größe; nicht in ih-
ren Einzelheiten; bald iſt ſie ſchlagender Stahl bei ihm; bald
der Stein, aus welchem die Witzfunken, und Witzflammen,
hervorleuchten müſſen; die Fälle miteingerechnet, wo ſie der
Geſang wird, der die wehmüthigſten Töne aus den Saiten des
Buſens reißt; nicht ſo, als ob dann noch der Geiſt witzige
Manieren hinein akkompagnirte; ſondern die Wendung ſelbſt,
ſich dann an Natur zu verlieren, iſt da witzig.
Dieſer Aufſatz iſt voller Gedanken, und Gedankenanläſſe.
Mit ungeſtörtem Blick ſieht er nach Jetzt, und Sonſt. Mie
zwanzig ihm zuſtrömenden Vergleichen und Witzworten ſchil-
dert er unvermekt den Kern des Lebens, und den Zuſtand der
Alten, giebt Definitionen, die allein ſchon einen Band zum
Buche machen könnten. „Um einer Wahrheit Daſein wird
ſelten geſtritten, auch nicht zwiſchen den feindlichſten Geſin-
nungen; gekämpft wird nur um die Gränzen einer Wahr-
heit.“ Abſchluß der meiſten Verwirrung: Bezeichnung faſt
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/159>, abgerufen am 26.11.2024.
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