Schweigen." Shakespear wußte es; Hamlet mußt' es sagen. (Melancholisch gesagt!) Also weiter! Adieu lieber Freund. Wenn ich treu bin, sind Sie's auch. Antworten Sie ja. Ge- neralkonsul Dehn schickt mir gern den Brief.
(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.
Meine Namen sind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem letzen unterschreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine sehr schöne Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür- den: sie ist auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder. Mein jüngster Bruder hat eine hübsche talentvolle Polin, und zwei Knaben; der älteste eilf Jahr. Als riss' ich Grä- ber auf und mein Herz, und bestürmte mit zwanzig neuen Leben meinen Kopf, so ist es mir, muß ich einem Alten schreiben! Man muß bei einander bleiben: man ist zu dumm, man sucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir sind getrieben. Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten! Vieles ist nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte, Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was ist dann? Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!
*) Das Wort Ausspannen drückt einzig den frustrirten Zustand aus; die Pferde, der Knecht, die langsam, unwieder- bringlich weiter gehn! das stehende Fuhrwerk, was zu nichts mehr nützt, sondern hindert; der Embarras; das Todte darin; das Nachsehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat das herrlichst benutzt in der Schilderung im Meister, wie die armen Akteurs, so ausgespannt, im alten Theil des Schlosses
Schweigen.“ Shakeſpear wußte es; Hamlet mußt’ es ſagen. (Melancholiſch geſagt!) Alſo weiter! Adieu lieber Freund. Wenn ich treu bin, ſind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge- neralkonſul Dehn ſchickt mir gern den Brief.
(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.
Meine Namen ſind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem letzen unterſchreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine ſehr ſchöne Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür- den: ſie iſt auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder. Mein jüngſter Bruder hat eine hübſche talentvolle Polin, und zwei Knaben; der älteſte eilf Jahr. Als riſſ’ ich Grä- ber auf und mein Herz, und beſtürmte mit zwanzig neuen Leben meinen Kopf, ſo iſt es mir, muß ich einem Alten ſchreiben! Man muß bei einander bleiben: man iſt zu dumm, man ſucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir ſind getrieben. Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten! Vieles iſt nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte, Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was iſt dann? Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!
*) Das Wort Ausſpannen drückt einzig den fruſtrirten Zuſtand aus; die Pferde, der Knecht, die langſam, unwieder- bringlich weiter gehn! das ſtehende Fuhrwerk, was zu nichts mehr nützt, ſondern hindert; der Embarras; das Todte darin; das Nachſehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat das herrlichſt benutzt in der Schilderung im Meiſter, wie die armen Akteurs, ſo ausgeſpannt, im alten Theil des Schloſſes
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Schweigen.“ Shakeſpear wußte es; Hamlet mußt’ es ſagen.
(Melancholiſch geſagt!) Alſo weiter! Adieu lieber Freund.
Wenn ich treu bin, ſind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge-
neralkonſul Dehn ſchickt mir gern den Brief.
(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.
Meine Namen ſind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem
letzen unterſchreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine
Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine ſehr ſchöne
Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür-
den: ſie iſt auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder.
Mein jüngſter Bruder hat eine hübſche talentvolle Polin,
und zwei Knaben; der älteſte eilf Jahr. Als riſſ’ ich Grä-
ber auf und mein Herz, und beſtürmte mit zwanzig neuen
Leben meinen Kopf, ſo iſt es mir, muß ich einem Alten
ſchreiben! Man muß bei einander bleiben: man iſt zu dumm,
man ſucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir ſind getrieben.
Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten!
Vieles iſt nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte,
Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was iſt dann?
Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!
*⁾ Das Wort Ausſpannen drückt einzig den fruſtrirten
Zuſtand aus; die Pferde, der Knecht, die langſam, unwieder-
bringlich weiter gehn! das ſtehende Fuhrwerk, was zu nichts
mehr nützt, ſondern hindert; der Embarras; das Todte darin;
das Nachſehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat
das herrlichſt benutzt in der Schilderung im Meiſter, wie die
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/166>, abgerufen am 26.11.2024.
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