doch eingänglich, bekannt. Sie sind die durchlebtesten, abge- lebtesten Europäer -- was die sind, ist ein Zweites! -- ein Vorvolk; und haben unser Aller Leben durchsprochen: daher auch ihre Sprache solch geübtes Werkzeug. Dies ist wahr; wenn auch noch Unendliches anzuknüpfen. --
August, 1824.
Der Unterschied der antiken und der modernen Welt be- steht bei mir in dem Einen Punkt, aus dem alle andern her- vorgehn. In der antiken waren die Regierungen den Völkern vor. Gesetzgeber, Propheten-Könige, halbe Zaubrer. Schutzhel- den, Erfinder der ersten Elemente der Lebensgenüsse. Ministres des dieux, -- Himmelsvermittler. Religionsstifter. In der modernen, nicht geoffenbarten, sondern offenbaren Welt, wol- len die Regierungen mit den Ruinen der alten Mittel wirken; die jeder aus dem ganzen Volke handhabt; und wovon jedes, von einer andern Klasse aus dem Volke, zu seiner Kunst und Wissenschaft gemacht ist; und so gebraucht wird. Nun müs- sen Regierer neue große Erfindungen machen. Der Geist muß regiert werden: und exploitirt von größerm: "die Erde ist genommen."! --
Das gesellige Dasein und Leben muß nun in Europa eine andre Gestalt annehmen; und sei es noch so langsam: es wird aber schnell genug gehn. Wie so das Wundern? obgleich sich nicht genug gewundert wird. Was hilft das Wundren! kann man eben so gut sagen!
Kann ein Hofleben, mit seinen einzigen, allseitigen Wir-
doch eingänglich, bekannt. Sie ſind die durchlebteſten, abge- lebteſten Europäer — was die ſind, iſt ein Zweites! — ein Vorvolk; und haben unſer Aller Leben durchſprochen: daher auch ihre Sprache ſolch geübtes Werkzeug. Dies iſt wahr; wenn auch noch Unendliches anzuknüpfen. —
Auguſt, 1824.
Der Unterſchied der antiken und der modernen Welt be- ſteht bei mir in dem Einen Punkt, aus dem alle andern her- vorgehn. In der antiken waren die Regierungen den Völkern vor. Geſetzgeber, Propheten-Könige, halbe Zaubrer. Schutzhel- den, Erfinder der erſten Elemente der Lebensgenüſſe. Ministres des dieux, — Himmelsvermittler. Religionsſtifter. In der modernen, nicht geoffenbarten, ſondern offenbaren Welt, wol- len die Regierungen mit den Ruinen der alten Mittel wirken; die jeder aus dem ganzen Volke handhabt; und wovon jedes, von einer andern Klaſſe aus dem Volke, zu ſeiner Kunſt und Wiſſenſchaft gemacht iſt; und ſo gebraucht wird. Nun müſ- ſen Regierer neue große Erfindungen machen. Der Geiſt muß regiert werden: und exploitirt von größerm: „die Erde iſt genommen.“! —
Das geſellige Daſein und Leben muß nun in Europa eine andre Geſtalt annehmen; und ſei es noch ſo langſam: es wird aber ſchnell genug gehn. Wie ſo das Wundern? obgleich ſich nicht genug gewundert wird. Was hilft das Wundren! kann man eben ſo gut ſagen!
Kann ein Hofleben, mit ſeinen einzigen, allſeitigen Wir-
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doch eingänglich, bekannt. Sie ſind die durchlebteſten, abge-
lebteſten Europäer — was die ſind, iſt ein Zweites! — ein
Vorvolk; und haben unſer Aller Leben durchſprochen: daher
auch ihre Sprache ſolch geübtes Werkzeug. Dies iſt wahr;
wenn auch noch Unendliches anzuknüpfen. —
Auguſt, 1824.
Der Unterſchied der antiken und der modernen Welt be-
ſteht bei mir in dem Einen Punkt, aus dem alle andern her-
vorgehn. In der antiken waren die Regierungen den Völkern
vor. Geſetzgeber, Propheten-Könige, halbe Zaubrer. Schutzhel-
den, Erfinder der erſten Elemente der Lebensgenüſſe. Ministres
des dieux, — Himmelsvermittler. Religionsſtifter. In der
modernen, nicht geoffenbarten, ſondern offenbaren Welt, wol-
len die Regierungen mit den Ruinen der alten Mittel wirken;
die jeder aus dem ganzen Volke handhabt; und wovon jedes,
von einer andern Klaſſe aus dem Volke, zu ſeiner Kunſt und
Wiſſenſchaft gemacht iſt; und ſo gebraucht wird. Nun müſ-
ſen Regierer neue große Erfindungen machen. Der Geiſt muß
regiert werden: und exploitirt von größerm: „die Erde iſt
genommen.“! —
Das geſellige Daſein und Leben muß nun in Europa eine
andre Geſtalt annehmen; und ſei es noch ſo langſam: es wird
aber ſchnell genug gehn. Wie ſo das Wundern? obgleich ſich
nicht genug gewundert wird. Was hilft das Wundren! kann
man eben ſo gut ſagen!
Kann ein Hofleben, mit ſeinen einzigen, allſeitigen Wir-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/174>, abgerufen am 25.11.2024.
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