kungen auf alles Leben unter ihm, bestehn ohne unbedingte Ausgaben? Ein Budget, oder -- was eben so viel -- eine willkürlich gütige Einschränkung eines Monarchen ist ein Schuß mitten in das Herz dieses Lebens. Ein Hofleben war ja nur eine Kunstdarstellung, eines bessern unbedingtern Lebens; aber die alten Erdbedingungen stellen sich früh oder spät ein. Viele lebten: die Übrigen alle leisteten; sie sollen jetzt Alle leben, wird bewilligt; und dies Einmal gesagt, ist kein Halt mehr. --
Mittwoch, den 15. September 1824. Schönes Sonnenwetter.
Im ganzen Leben, wie in Kunst, deren Übung und An- sicht, müssen sich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt würde: das könnte keine Wiederholung schaffen. Aber in je- der besondern Beziehung wird etwas Neues erschaffen; und deßwegen ist deren Vermehrung allein wünschenswerth, bele- bend, freudebringend, würdig, reel.
Saint-Martin sagt, die Seligkeit würde darin bestehen, daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden. Wer in musikalischem Vortrag keine neuen Beziehungen hört und zeigt, ist nur ein Instrument. --
An Frau von Goethe, in Weimar.
September 1824.
Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent- lich ist; ab, weit ab: wie ein schwaches kleines Schiff getrie-
kungen auf alles Leben unter ihm, beſtehn ohne unbedingte Ausgaben? Ein Budget, oder — was eben ſo viel — eine willkürlich gütige Einſchränkung eines Monarchen iſt ein Schuß mitten in das Herz dieſes Lebens. Ein Hofleben war ja nur eine Kunſtdarſtellung, eines beſſern unbedingtern Lebens; aber die alten Erdbedingungen ſtellen ſich früh oder ſpät ein. Viele lebten: die Übrigen alle leiſteten; ſie ſollen jetzt Alle leben, wird bewilligt; und dies Einmal geſagt, iſt kein Halt mehr. —
Mittwoch, den 15. September 1824. Schönes Sonnenwetter.
Im ganzen Leben, wie in Kunſt, deren Übung und An- ſicht, müſſen ſich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt würde: das könnte keine Wiederholung ſchaffen. Aber in je- der beſondern Beziehung wird etwas Neues erſchaffen; und deßwegen iſt deren Vermehrung allein wünſchenswerth, bele- bend, freudebringend, würdig, reel.
Saint-Martin ſagt, die Seligkeit würde darin beſtehen, daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden. Wer in muſikaliſchem Vortrag keine neuen Beziehungen hört und zeigt, iſt nur ein Inſtrument. —
An Frau von Goethe, in Weimar.
September 1824.
Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent- lich iſt; ab, weit ab: wie ein ſchwaches kleines Schiff getrie-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0175"n="167"/>
kungen auf alles Leben unter ihm, beſtehn ohne unbedingte<lb/>
Ausgaben? Ein Budget, oder — was eben ſo viel — eine<lb/>
willkürlich gütige Einſchränkung eines Monarchen iſt ein Schuß<lb/>
mitten in das Herz dieſes Lebens. Ein Hofleben war ja nur<lb/>
eine Kunſtdarſtellung, eines beſſern unbedingtern Lebens; aber<lb/>
die alten Erdbedingungen ſtellen ſich früh oder ſpät ein. Viele<lb/>
lebten: die Übrigen alle leiſteten; ſie ſollen jetzt Alle leben,<lb/>
wird bewilligt; und dies Einmal geſagt, iſt kein Halt mehr. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Mittwoch, den 15. September 1824.<lb/>
Schönes Sonnenwetter.</hi></dateline><lb/><p>Im ganzen Leben, wie in Kunſt, deren Übung und An-<lb/>ſicht, müſſen ſich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein<lb/>
heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt<lb/>
würde: das könnte keine Wiederholung ſchaffen. Aber in je-<lb/>
der beſondern Beziehung wird etwas Neues erſchaffen; und<lb/>
deßwegen iſt deren Vermehrung allein wünſchenswerth, bele-<lb/>
bend, freudebringend, würdig, reel.</p><lb/><p>Saint-Martin ſagt, die Seligkeit würde darin beſtehen,<lb/>
daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden.<lb/>
Wer in muſikaliſchem Vortrag keine neuen Beziehungen hört<lb/>
und zeigt, iſt nur ein Inſtrument. —</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Frau von Goethe, in Weimar.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">September 1824.</hi></dateline><lb/><p>Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent-<lb/>
lich iſt; ab, weit ab: wie ein ſchwaches kleines Schiff getrie-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[167/0175]
kungen auf alles Leben unter ihm, beſtehn ohne unbedingte
Ausgaben? Ein Budget, oder — was eben ſo viel — eine
willkürlich gütige Einſchränkung eines Monarchen iſt ein Schuß
mitten in das Herz dieſes Lebens. Ein Hofleben war ja nur
eine Kunſtdarſtellung, eines beſſern unbedingtern Lebens; aber
die alten Erdbedingungen ſtellen ſich früh oder ſpät ein. Viele
lebten: die Übrigen alle leiſteten; ſie ſollen jetzt Alle leben,
wird bewilligt; und dies Einmal geſagt, iſt kein Halt mehr. —
Mittwoch, den 15. September 1824.
Schönes Sonnenwetter.
Im ganzen Leben, wie in Kunſt, deren Übung und An-
ſicht, müſſen ſich immer mehr Beziehungen darthun (dies allein
heißt weiterleben), und dies nicht, weil dadurch mehr gelebt
würde: das könnte keine Wiederholung ſchaffen. Aber in je-
der beſondern Beziehung wird etwas Neues erſchaffen; und
deßwegen iſt deren Vermehrung allein wünſchenswerth, bele-
bend, freudebringend, würdig, reel.
Saint-Martin ſagt, die Seligkeit würde darin beſtehen,
daß wir in jedem Moment etwas Neues erfahren werden.
Wer in muſikaliſchem Vortrag keine neuen Beziehungen hört
und zeigt, iſt nur ein Inſtrument. —
An Frau von Goethe, in Weimar.
September 1824.
Kann man ganz abkommen von dem, was man eigent-
lich iſt; ab, weit ab: wie ein ſchwaches kleines Schiff getrie-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/175>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.