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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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seau'n lieber klagen, als ihn so zu vertheidigen! -- Ihr in
allen ihren verwickelten Läufen zu folgen, ist mir zu schwer;
wenn das Buch mir gehörte, schriebe ich alles am Rande. Sie
bleibt immer in derselben Furcht für sich, und auch für Rous-
seau, man möchte ihre Tugend, ihre Moral nicht für die äch-
ten halten; fürchtet sich, der Leidenschaft das Wort zu reden
-- die sie auch in ihrem Buch sur les passions mit Sucht
verwechselt. -- Was ist Leidenschaft? Erstlich! Dann verläßt
sie die Angst nicht, daß Weiber von schriftstellerischem Talent
nicht könnten weiblich gefunden werden: oder ihre Werke doch
nicht so hoch zu stellen seien, als die der Männer. Arme
Furcht! ein Buch muß gut sein, und wenn es eine Maus ge-
schrieben hat, und wird dadurch nicht besser, wenn sein Autor
Engelsflügel an den Schultern trägt. So viel für's Buch
selbst! Ob eine Frau schreiben soll? ist eine andere Frage:
und so possierlich als ernsthaft zu beantworten. Wenn sie Zeit
hat; wenn sie Talent hat; wenn's ihr Mann befiehlt --
wird's ehliche Pflicht sogar, -- wenn er's leidet, gerne sicht;
wenn es sie von Schlechterem abhält, wenn sie Gutes thut
für den Sold, u. s. w. und sie muß es, wenn sie ein großer
Autor ist. Wenn Fichte's Werke Frau Fichte geschrieben hätte,
wären sie schlechter? Oder ist es aus der Organisation bewie-
sen, daß eine Frau nicht denken und ihre Gedanken nicht aus-
drücken kann? Wäre dies, so blieb es doch noch Pflicht, oder
erlaubt, den Versuch immer von neuem zu machen.

In Rousseau's Heloise wäre ganz etwas anderes zu be-
urtheilen, als was Frau von Stael anzugreifen scheint: aber
das Werk in seiner Gesammtheit drückt diesen Tadel selbst aus,

ſeau’n lieber klagen, als ihn ſo zu vertheidigen! — Ihr in
allen ihren verwickelten Läufen zu folgen, iſt mir zu ſchwer;
wenn das Buch mir gehörte, ſchriebe ich alles am Rande. Sie
bleibt immer in derſelben Furcht für ſich, und auch für Rouſ-
ſeau, man möchte ihre Tugend, ihre Moral nicht für die äch-
ten halten; fürchtet ſich, der Leidenſchaft das Wort zu reden
— die ſie auch in ihrem Buch sur les passions mit Sucht
verwechſelt. — Was iſt Leidenſchaft? Erſtlich! Dann verläßt
ſie die Angſt nicht, daß Weiber von ſchriftſtelleriſchem Talent
nicht könnten weiblich gefunden werden: oder ihre Werke doch
nicht ſo hoch zu ſtellen ſeien, als die der Männer. Arme
Furcht! ein Buch muß gut ſein, und wenn es eine Maus ge-
ſchrieben hat, und wird dadurch nicht beſſer, wenn ſein Autor
Engelsflügel an den Schultern trägt. So viel für’s Buch
ſelbſt! Ob eine Frau ſchreiben ſoll? iſt eine andere Frage:
und ſo poſſierlich als ernſthaft zu beantworten. Wenn ſie Zeit
hat; wenn ſie Talent hat; wenn’s ihr Mann befiehlt —
wird’s ehliche Pflicht ſogar, — wenn er’s leidet, gerne ſicht;
wenn es ſie von Schlechterem abhält, wenn ſie Gutes thut
für den Sold, u. ſ. w. und ſie muß es, wenn ſie ein großer
Autor iſt. Wenn Fichte’s Werke Frau Fichte geſchrieben hätte,
wären ſie ſchlechter? Oder iſt es aus der Organiſation bewie-
ſen, daß eine Frau nicht denken und ihre Gedanken nicht aus-
drücken kann? Wäre dies, ſo blieb es doch noch Pflicht, oder
erlaubt, den Verſuch immer von neuem zu machen.

In Rouſſeau’s Heloiſe wäre ganz etwas anderes zu be-
urtheilen, als was Frau von Staël anzugreifen ſcheint: aber
das Werk in ſeiner Geſammtheit drückt dieſen Tadel ſelbſt aus,

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[10/0018] ſeau’n lieber klagen, als ihn ſo zu vertheidigen! — Ihr in allen ihren verwickelten Läufen zu folgen, iſt mir zu ſchwer; wenn das Buch mir gehörte, ſchriebe ich alles am Rande. Sie bleibt immer in derſelben Furcht für ſich, und auch für Rouſ- ſeau, man möchte ihre Tugend, ihre Moral nicht für die äch- ten halten; fürchtet ſich, der Leidenſchaft das Wort zu reden — die ſie auch in ihrem Buch sur les passions mit Sucht verwechſelt. — Was iſt Leidenſchaft? Erſtlich! Dann verläßt ſie die Angſt nicht, daß Weiber von ſchriftſtelleriſchem Talent nicht könnten weiblich gefunden werden: oder ihre Werke doch nicht ſo hoch zu ſtellen ſeien, als die der Männer. Arme Furcht! ein Buch muß gut ſein, und wenn es eine Maus ge- ſchrieben hat, und wird dadurch nicht beſſer, wenn ſein Autor Engelsflügel an den Schultern trägt. So viel für’s Buch ſelbſt! Ob eine Frau ſchreiben ſoll? iſt eine andere Frage: und ſo poſſierlich als ernſthaft zu beantworten. Wenn ſie Zeit hat; wenn ſie Talent hat; wenn’s ihr Mann befiehlt — wird’s ehliche Pflicht ſogar, — wenn er’s leidet, gerne ſicht; wenn es ſie von Schlechterem abhält, wenn ſie Gutes thut für den Sold, u. ſ. w. und ſie muß es, wenn ſie ein großer Autor iſt. Wenn Fichte’s Werke Frau Fichte geſchrieben hätte, wären ſie ſchlechter? Oder iſt es aus der Organiſation bewie- ſen, daß eine Frau nicht denken und ihre Gedanken nicht aus- drücken kann? Wäre dies, ſo blieb es doch noch Pflicht, oder erlaubt, den Verſuch immer von neuem zu machen. In Rouſſeau’s Heloiſe wäre ganz etwas anderes zu be- urtheilen, als was Frau von Staël anzugreifen ſcheint: aber das Werk in ſeiner Geſammtheit drückt dieſen Tadel ſelbſt aus,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/18>, abgerufen am 30.04.2024.