Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn nicht das Armselige durchaus lächerlich und lustig
dargestellt werden kann, so verlangen wir von einem Theater-
stück, daß es tragisch endige, und sind unbefriedigt, wenn wir
gegen Ende desselben vorhersehn, es werden die uns bekannt
gewordenen Personen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen.
Was ist aber tragisch? Nichts Trauriges; sondern, Erhabenes.
Der Tod. Der unendlich ist; den wir einem andern Geist,
als unserm, überlassen müssen.



Lies Goethe's Verse zur neuen Ausgabe Werthers. Wie
große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und
vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig,
wenn's nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na-
turerzeugniß bist du Goethe. --




An Ludwig Robert, in Karlsruhe.

Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Musiken von
Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff
nicht, wie auch nur drei Töne, für den Gesang von diesem
Manne gesetzt, unausbleiblich diese Wirkung hervorbringen!
Buchstäblich drei Töne. Er weiß sie anfangen zu lassen, in
eine Folge zu bringen, daß sie uns jedesmal entheben und
auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung
versetzen. Lagrime; möchte man aussprechen! Was ist das?

Wenn nicht das Armſelige durchaus lächerlich und luſtig
dargeſtellt werden kann, ſo verlangen wir von einem Theater-
ſtück, daß es tragiſch endige, und ſind unbefriedigt, wenn wir
gegen Ende deſſelben vorherſehn, es werden die uns bekannt
gewordenen Perſonen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen.
Was iſt aber tragiſch? Nichts Trauriges; ſondern, Erhabenes.
Der Tod. Der unendlich iſt; den wir einem andern Geiſt,
als unſerm, überlaſſen müſſen.



Lies Goethe’s Verſe zur neuen Ausgabe Werthers. Wie
große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und
vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig,
wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na-
turerzeugniß biſt du Goethe. —




An Ludwig Robert, in Karlsruhe.

Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Muſiken von
Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff
nicht, wie auch nur drei Töne, für den Geſang von dieſem
Manne geſetzt, unausbleiblich dieſe Wirkung hervorbringen!
Buchſtäblich drei Töne. Er weiß ſie anfangen zu laſſen, in
eine Folge zu bringen, daß ſie uns jedesmal entheben und
auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung
verſetzen. Lagrime; möchte man ausſprechen! Was iſt das?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0180" n="172"/>
          <div n="3">
            <p>Wenn nicht das Arm&#x017F;elige durchaus lächerlich und lu&#x017F;tig<lb/>
darge&#x017F;tellt werden kann, &#x017F;o verlangen wir von einem Theater-<lb/>
&#x017F;tück, daß es tragi&#x017F;ch endige, und &#x017F;ind unbefriedigt, wenn wir<lb/>
gegen Ende de&#x017F;&#x017F;elben vorher&#x017F;ehn, es werden die uns bekannt<lb/>
gewordenen Per&#x017F;onen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen.<lb/>
Was i&#x017F;t aber tragi&#x017F;ch? Nichts Trauriges; &#x017F;ondern, Erhabenes.<lb/>
Der Tod. Der unendlich i&#x017F;t; den wir einem andern Gei&#x017F;t,<lb/>
als un&#x017F;erm, überla&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>Lies Goethe&#x2019;s Ver&#x017F;e zur neuen Ausgabe Werthers. Wie<lb/>
große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und<lb/>
vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig,<lb/>
wenn&#x2019;s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na-<lb/>
turerzeugniß bi&#x017F;t du Goethe. &#x2014;</p><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 16. Oktober 1824.</hi> </dateline>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Ludwig Robert, in Karlsruhe.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Freitag den 26. November 1824.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Mu&#x017F;iken von<lb/><hi rendition="#g">Händel</hi>, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff<lb/>
nicht, wie auch nur drei Töne, für den Ge&#x017F;ang von die&#x017F;em<lb/>
Manne ge&#x017F;etzt, unausbleiblich die&#x017F;e Wirkung hervorbringen!<lb/>
Buch&#x017F;täblich drei Töne. Er weiß &#x017F;ie anfangen zu la&#x017F;&#x017F;en, in<lb/>
eine Folge zu bringen, daß &#x017F;ie uns jedesmal entheben und<lb/>
auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung<lb/>
ver&#x017F;etzen. <hi rendition="#aq">Lagrime;</hi> möchte man aus&#x017F;prechen! Was i&#x017F;t das?<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0180] Wenn nicht das Armſelige durchaus lächerlich und luſtig dargeſtellt werden kann, ſo verlangen wir von einem Theater- ſtück, daß es tragiſch endige, und ſind unbefriedigt, wenn wir gegen Ende deſſelben vorherſehn, es werden die uns bekannt gewordenen Perſonen das Werkeltagsrad weiter drehen helfen. Was iſt aber tragiſch? Nichts Trauriges; ſondern, Erhabenes. Der Tod. Der unendlich iſt; den wir einem andern Geiſt, als unſerm, überlaſſen müſſen. Lies Goethe’s Verſe zur neuen Ausgabe Werthers. Wie große Schatten des ganzen beleuchteten Lebens, die rück- und vorwärts reichen, von reiner hoher Sonne erzeugt: traurig, wenn’s nicht zu erhaben wäre! Großer Mann! Großes Na- turerzeugniß biſt du Goethe. — Den 16. Oktober 1824. An Ludwig Robert, in Karlsruhe. Berlin, Freitag den 26. November 1824. Schon vorigen Winter hörte ich mehrere Muſiken von Händel, und jedesmal war ich gleich erhoben und begriff nicht, wie auch nur drei Töne, für den Geſang von dieſem Manne geſetzt, unausbleiblich dieſe Wirkung hervorbringen! Buchſtäblich drei Töne. Er weiß ſie anfangen zu laſſen, in eine Folge zu bringen, daß ſie uns jedesmal entheben und auf ein Feld der Wehmuth, der Erhabenheit und Ergebung verſetzen. Lagrime; möchte man ausſprechen! Was iſt das?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/180
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/180>, abgerufen am 24.11.2024.