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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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bung, des stillen Nachspürens, der höheren Hoffnung und
einer andern Ruhe, als die des Ausruhens: in eine Vorselig-
keit, deren Atmosphäre, -- Lebensbedingung, -- Unschuld,
reinstes Wollen und Streben, und dayer schon Ruhe ist. Er
ist mit seinem Talente auf das Gebiet des eigentlichen
Witzes hingeschwungen, wo wenig viel ist, alles immer
mehr Eins wird; er, Händel, braucht keinen Witz mehr; er
ist erhaben.

Mag dies, was ich über Händel nun erdacht, ausgeführt
werden, oder nicht! So muß es angesehen sein: das ist mir
gewiß.

Glaube nicht, daß ich das Wort: "der metaphysische"
Sebastian Bach, nur a tout hazard gebraucht habe; es scheint
so und darum will ich mich deßhalb rechtfertigen. Manchmal
gebraucht man bei einer Gelegenheit einen exagerirten Aus-
druck aus einem heterogenen Gebiete mit Bedacht, um so-
wohl für sich selbst, als Andre verständlich zu werden; dies-
mal ist das nicht der Fall. Metaphysik ist doch: Überphysik;
wenn wir die handhaben, so ist das doch nichts andres, als
die Natur unsrer Gedanken erwägen, ermessen, mit Gedan-
ken; und die Gesetze, die wir da entdecken, sind reine Har-
monie und am Ende Beziehung auf ein Unbekanntes, Ge-
setzgebendes, -- welches nicht nur allein Gesetzgebendes in die-
ser Beschränkung sein wird. -- So ist es, wenn ein Meister,
ohne Gemüthsbeziehung in den Tönen untereinander selbst,
wirkt und dichtet; so thut Sebastian Bach oft, und darum
nenn' ich ihn den metaphysischen. So ohne Gedanken geschah
es nicht. Punktum!



bung, des ſtillen Nachſpürens, der höheren Hoffnung und
einer andern Ruhe, als die des Ausruhens: in eine Vorſelig-
keit, deren Atmoſphäre, — Lebensbedingung, — Unſchuld,
reinſtes Wollen und Streben, und dayer ſchon Ruhe iſt. Er
iſt mit ſeinem Talente auf das Gebiet des eigentlichen
Witzes hingeſchwungen, wo wenig viel iſt, alles immer
mehr Eins wird; er, Händel, braucht keinen Witz mehr; er
iſt erhaben.

Mag dies, was ich über Händel nun erdacht, ausgeführt
werden, oder nicht! So muß es angeſehen ſein: das iſt mir
gewiß.

Glaube nicht, daß ich das Wort: „der metaphyſiſche“
Sebaſtian Bach, nur à tout hazard gebraucht habe; es ſcheint
ſo und darum will ich mich deßhalb rechtfertigen. Manchmal
gebraucht man bei einer Gelegenheit einen exagerirten Aus-
druck aus einem heterogenen Gebiete mit Bedacht, um ſo-
wohl für ſich ſelbſt, als Andre verſtändlich zu werden; dies-
mal iſt das nicht der Fall. Metaphyſik iſt doch: Überphyſik;
wenn wir die handhaben, ſo iſt das doch nichts andres, als
die Natur unſrer Gedanken erwägen, ermeſſen, mit Gedan-
ken; und die Geſetze, die wir da entdecken, ſind reine Har-
monie und am Ende Beziehung auf ein Unbekanntes, Ge-
ſetzgebendes, — welches nicht nur allein Geſetzgebendes in die-
ſer Beſchränkung ſein wird. — So iſt es, wenn ein Meiſter,
ohne Gemüthsbeziehung in den Tönen untereinander ſelbſt,
wirkt und dichtet; ſo thut Sebaſtian Bach oft, und darum
nenn’ ich ihn den metaphyſiſchen. So ohne Gedanken geſchah
es nicht. Punktum!



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[174/0182] bung, des ſtillen Nachſpürens, der höheren Hoffnung und einer andern Ruhe, als die des Ausruhens: in eine Vorſelig- keit, deren Atmoſphäre, — Lebensbedingung, — Unſchuld, reinſtes Wollen und Streben, und dayer ſchon Ruhe iſt. Er iſt mit ſeinem Talente auf das Gebiet des eigentlichen Witzes hingeſchwungen, wo wenig viel iſt, alles immer mehr Eins wird; er, Händel, braucht keinen Witz mehr; er iſt erhaben. Mag dies, was ich über Händel nun erdacht, ausgeführt werden, oder nicht! So muß es angeſehen ſein: das iſt mir gewiß. Glaube nicht, daß ich das Wort: „der metaphyſiſche“ Sebaſtian Bach, nur à tout hazard gebraucht habe; es ſcheint ſo und darum will ich mich deßhalb rechtfertigen. Manchmal gebraucht man bei einer Gelegenheit einen exagerirten Aus- druck aus einem heterogenen Gebiete mit Bedacht, um ſo- wohl für ſich ſelbſt, als Andre verſtändlich zu werden; dies- mal iſt das nicht der Fall. Metaphyſik iſt doch: Überphyſik; wenn wir die handhaben, ſo iſt das doch nichts andres, als die Natur unſrer Gedanken erwägen, ermeſſen, mit Gedan- ken; und die Geſetze, die wir da entdecken, ſind reine Har- monie und am Ende Beziehung auf ein Unbekanntes, Ge- ſetzgebendes, — welches nicht nur allein Geſetzgebendes in die- ſer Beſchränkung ſein wird. — So iſt es, wenn ein Meiſter, ohne Gemüthsbeziehung in den Tönen untereinander ſelbſt, wirkt und dichtet; ſo thut Sebaſtian Bach oft, und darum nenn’ ich ihn den metaphyſiſchen. So ohne Gedanken geſchah es nicht. Punktum!

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/182>, abgerufen am 17.05.2024.