Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

nun eine schlechte Feder -- die mich noch mehr irritirt -- oder
bin nervenzitternd bis zur Bläue -- welches nach der ersten
Seite Statt hat -- erhitzt, so wird Phrase, Wort, Ausdruck,
Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen,
davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, streng, scherz-
haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech' ich mitten
im Erguß, ihn selbst, oder seinen Ausdruck ab. Dieses für
mich große Übel hat auch dir oft die schönsten Briefe vorent-
halten: und einmal, Freundin! wollte ich dir es doch vor-
skizziren. -- So hätte ich dir vorgestern gewiß sehr gut ge-
schrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund-
schaft ist kein leeres Wort! Goethe definirt sie in der Elegie
so: "Freunde, Gleichgesinnte, nur herein!" und ewig frap-
pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was sind
Freunde? Gleichgesinnte. Und wo kann der Mensch, die
Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Geist der Geister.
Über diese Gegenstände müssen Freunde -- wie wir selbst -- sich
besprechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches
aufhören kann, muß uns an das Absolute mahnen, und dies
an unsre höchsten Gedanken: und in und bei diesen müssen
wir Gleichgesinnte haben; dies ist der höchste Punkt der Ge-
selligkeit, und der tiefste: und daher der Quell und das Mobil
aller, noch so geringfähig scheinender. Also, Liebe, ist es na-
türlich, und mit Recht, daß du an mich dachtest, als du dein
Übel für ernst halten mußtest; und das ist mir ein großer
Trost. Dazu ist Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug
Vernunft -- ohne sie kein Verständigen, keine Bürgschaft --
und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt.

nun eine ſchlechte Feder — die mich noch mehr irritirt — oder
bin nervenzitternd bis zur Bläue — welches nach der erſten
Seite Statt hat — erhitzt, ſo wird Phraſe, Wort, Ausdruck,
Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen,
davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, ſtreng, ſcherz-
haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech’ ich mitten
im Erguß, ihn ſelbſt, oder ſeinen Ausdruck ab. Dieſes für
mich große Übel hat auch dir oft die ſchönſten Briefe vorent-
halten: und einmal, Freundin! wollte ich dir es doch vor-
ſkizziren. — So hätte ich dir vorgeſtern gewiß ſehr gut ge-
ſchrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund-
ſchaft iſt kein leeres Wort! Goethe definirt ſie in der Elegie
ſo: „Freunde, Gleichgeſinnte, nur herein!“ und ewig frap-
pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was ſind
Freunde? Gleichgeſinnte. Und wo kann der Menſch, die
Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Geiſt der Geiſter.
Über dieſe Gegenſtände müſſen Freunde — wie wir ſelbſt — ſich
beſprechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches
aufhören kann, muß uns an das Abſolute mahnen, und dies
an unſre höchſten Gedanken: und in und bei dieſen müſſen
wir Gleichgeſinnte haben; dies iſt der höchſte Punkt der Ge-
ſelligkeit, und der tiefſte: und daher der Quell und das Mobil
aller, noch ſo geringfähig ſcheinender. Alſo, Liebe, iſt es na-
türlich, und mit Recht, daß du an mich dachteſt, als du dein
Übel für ernſt halten mußteſt; und das iſt mir ein großer
Troſt. Dazu iſt Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug
Vernunft — ohne ſie kein Verſtändigen, keine Bürgſchaft —
und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="178"/>
nun eine &#x017F;chlechte Feder &#x2014; die mich noch mehr irritirt &#x2014; oder<lb/>
bin nervenzitternd bis zur Bläue &#x2014; welches nach der er&#x017F;ten<lb/>
Seite Statt hat &#x2014; erhitzt, &#x017F;o wird Phra&#x017F;e, Wort, Ausdruck,<lb/>
Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen,<lb/>
davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, &#x017F;treng, &#x017F;cherz-<lb/>
haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech&#x2019; ich mitten<lb/>
im Erguß, ihn &#x017F;elb&#x017F;t, oder &#x017F;einen Ausdruck ab. Die&#x017F;es für<lb/>
mich große Übel hat auch dir oft die &#x017F;chön&#x017F;ten Briefe vorent-<lb/>
halten: und <hi rendition="#g">einm</hi>al, Freundin! wollte ich dir es doch vor-<lb/>
&#x017F;kizziren. &#x2014; So hätte ich dir vorge&#x017F;tern gewiß &#x017F;ehr gut ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund-<lb/>
&#x017F;chaft i&#x017F;t kein leeres Wort! Goethe definirt &#x017F;ie in der Elegie<lb/>
&#x017F;o: &#x201E;Freunde, Gleichge&#x017F;innte, nur herein!&#x201C; und ewig frap-<lb/>
pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was &#x017F;ind<lb/>
Freunde? Gleichge&#x017F;innte. Und wo kann der Men&#x017F;ch, die<lb/>
Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Gei&#x017F;t der Gei&#x017F;ter.<lb/>
Über die&#x017F;e Gegen&#x017F;tände mü&#x017F;&#x017F;en Freunde &#x2014; wie wir &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;prechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches<lb/>
aufhören kann, muß uns an das Ab&#x017F;olute mahnen, und dies<lb/>
an un&#x017F;re höch&#x017F;ten Gedanken: und in und bei die&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir Gleichge&#x017F;innte haben; dies i&#x017F;t der höch&#x017F;te Punkt der Ge-<lb/>
&#x017F;elligkeit, und der tief&#x017F;te: und daher der Quell und das Mobil<lb/>
aller, noch &#x017F;o geringfähig &#x017F;cheinender. Al&#x017F;o, Liebe, i&#x017F;t es na-<lb/>
türlich, und mit Recht, daß du an mich dachte&#x017F;t, als du dein<lb/>
Übel für ern&#x017F;t halten mußte&#x017F;t; und das i&#x017F;t mir ein großer<lb/>
Tro&#x017F;t. Dazu i&#x017F;t Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug<lb/>
Vernunft &#x2014; ohne &#x017F;ie kein Ver&#x017F;tändigen, keine Bürg&#x017F;chaft &#x2014;<lb/>
und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0186] nun eine ſchlechte Feder — die mich noch mehr irritirt — oder bin nervenzitternd bis zur Bläue — welches nach der erſten Seite Statt hat — erhitzt, ſo wird Phraſe, Wort, Ausdruck, Form und Reihe der Gedanken, Periode, Ton des Ganzen, davon affizirt; kurz, holprig, fließend, gelinde, ſtreng, ſcherz- haft, ruhig: je nachdem! Und beinah immer brech’ ich mitten im Erguß, ihn ſelbſt, oder ſeinen Ausdruck ab. Dieſes für mich große Übel hat auch dir oft die ſchönſten Briefe vorent- halten: und einmal, Freundin! wollte ich dir es doch vor- ſkizziren. — So hätte ich dir vorgeſtern gewiß ſehr gut ge- ſchrieben, denn ich war ganz voll von deinem Brief. Freund- ſchaft iſt kein leeres Wort! Goethe definirt ſie in der Elegie ſo: „Freunde, Gleichgeſinnte, nur herein!“ und ewig frap- pirte mich dies Wort; und gleich, für ewig. Was ſind Freunde? Gleichgeſinnte. Und wo kann der Menſch, die Kreatur, am Ende aller Dinge hin, als zum Geiſt der Geiſter. Über dieſe Gegenſtände müſſen Freunde — wie wir ſelbſt — ſich beſprechen; der Tod, als das Aufhören alles Seins, welches aufhören kann, muß uns an das Abſolute mahnen, und dies an unſre höchſten Gedanken: und in und bei dieſen müſſen wir Gleichgeſinnte haben; dies iſt der höchſte Punkt der Ge- ſelligkeit, und der tiefſte: und daher der Quell und das Mobil aller, noch ſo geringfähig ſcheinender. Alſo, Liebe, iſt es na- türlich, und mit Recht, daß du an mich dachteſt, als du dein Übel für ernſt halten mußteſt; und das iſt mir ein großer Troſt. Dazu iſt Sprache, Mittheilung, und ihr Werkzeug Vernunft — ohne ſie kein Verſtändigen, keine Bürgſchaft — und das Herz, die große Uhr, die auf Wohl und Weh zeigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/186
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/186>, abgerufen am 24.11.2024.