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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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darauf verstreut, welches kein Ganzes bilden wollte: dies noch
dazu auf roth und weiß, welches sich zu oft abschnitt und
unterbrach: von der Fußspitze bis zum zweifarbigen Turban,
immerweg so; keine Fresko-Masse für's Auge kam zum Vor-
schein, der Kaftan von einem steifen Zeuge kurz geschnitten
und dabei nach jetziger Mode, mit vielen Falten auf dem
Kreuze, anstatt graziös flach, wie ein türkischer Schnitt exi-
stirt, den man zur Abwechselung lieber hätte beibehalten kön-
nen. Nichts weiter Asiatisches, ein wenig nur von uns Weg-
versetzendes beibehalten! Das Ganze ein kleiner verwirrender
Anblick. Das Letzte empfand ich selbst; die auseinandergesetz-
ten Details, die du hier findest, gab mir eine Frau, die vor
drei Wochen aus Italien hier ankam und Theater studirte,
möchte man sagen. Dies nun, was hier steht, hätte mich nicht
in die Ungeduld versetzen können, die ich dir äußerte; wohl
aber das Ganze der verfehlten Aufführung. Man läßt es
Italiäner-Opern nach, daß sie ein lockeres Gerüst für Scherz
und Musik sind, welches Musiker und Schauspieler mit Lust
und Liebe und ununterbrochener Beflissenheit ausfüllen. Wo
soll man aber das Gleichgewicht finden, welches zum Anhören
und Sitzenbleiben gehört, wenn ein solch losestes Machwerk
von Deutschen in ihrem Idiom so aufgeführt wird, daß man
jedesmal, wenn ein Musikstück anhebt, sich verwundert, wo
das jetzt herkommt! So wenig wußten sie Alle -- außer
Spitzeder -- einen Einfall des Komponisten vorzubereiten.
Weder Ironie der Musik noch Munterkeit, noch eine der Per-
son angemessene Schwerfälligkeit oder Leichtigkeit, Leichtfer-
tigkeit; kurz nichts, nichts! Als ob sie's gar nicht merkten,

darauf verſtreut, welches kein Ganzes bilden wollte: dies noch
dazu auf roth und weiß, welches ſich zu oft abſchnitt und
unterbrach: von der Fußſpitze bis zum zweifarbigen Turban,
immerweg ſo; keine Fresko-Maſſe für’s Auge kam zum Vor-
ſchein, der Kaftan von einem ſteifen Zeuge kurz geſchnitten
und dabei nach jetziger Mode, mit vielen Falten auf dem
Kreuze, anſtatt graziös flach, wie ein türkiſcher Schnitt exi-
ſtirt, den man zur Abwechſelung lieber hätte beibehalten kön-
nen. Nichts weiter Aſiatiſches, ein wenig nur von uns Weg-
verſetzendes beibehalten! Das Ganze ein kleiner verwirrender
Anblick. Das Letzte empfand ich ſelbſt; die auseinandergeſetz-
ten Details, die du hier findeſt, gab mir eine Frau, die vor
drei Wochen aus Italien hier ankam und Theater ſtudirte,
möchte man ſagen. Dies nun, was hier ſteht, hätte mich nicht
in die Ungeduld verſetzen können, die ich dir äußerte; wohl
aber das Ganze der verfehlten Aufführung. Man läßt es
Italiäner-Opern nach, daß ſie ein lockeres Gerüſt für Scherz
und Muſik ſind, welches Muſiker und Schauſpieler mit Luſt
und Liebe und ununterbrochener Befliſſenheit ausfüllen. Wo
ſoll man aber das Gleichgewicht finden, welches zum Anhören
und Sitzenbleiben gehört, wenn ein ſolch loſeſtes Machwerk
von Deutſchen in ihrem Idiom ſo aufgeführt wird, daß man
jedesmal, wenn ein Muſikſtück anhebt, ſich verwundert, wo
das jetzt herkommt! So wenig wußten ſie Alle — außer
Spitzeder — einen Einfall des Komponiſten vorzubereiten.
Weder Ironie der Muſik noch Munterkeit, noch eine der Per-
ſon angemeſſene Schwerfälligkeit oder Leichtigkeit, Leichtfer-
tigkeit; kurz nichts, nichts! Als ob ſie’s gar nicht merkten,

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[219/0227] darauf verſtreut, welches kein Ganzes bilden wollte: dies noch dazu auf roth und weiß, welches ſich zu oft abſchnitt und unterbrach: von der Fußſpitze bis zum zweifarbigen Turban, immerweg ſo; keine Fresko-Maſſe für’s Auge kam zum Vor- ſchein, der Kaftan von einem ſteifen Zeuge kurz geſchnitten und dabei nach jetziger Mode, mit vielen Falten auf dem Kreuze, anſtatt graziös flach, wie ein türkiſcher Schnitt exi- ſtirt, den man zur Abwechſelung lieber hätte beibehalten kön- nen. Nichts weiter Aſiatiſches, ein wenig nur von uns Weg- verſetzendes beibehalten! Das Ganze ein kleiner verwirrender Anblick. Das Letzte empfand ich ſelbſt; die auseinandergeſetz- ten Details, die du hier findeſt, gab mir eine Frau, die vor drei Wochen aus Italien hier ankam und Theater ſtudirte, möchte man ſagen. Dies nun, was hier ſteht, hätte mich nicht in die Ungeduld verſetzen können, die ich dir äußerte; wohl aber das Ganze der verfehlten Aufführung. Man läßt es Italiäner-Opern nach, daß ſie ein lockeres Gerüſt für Scherz und Muſik ſind, welches Muſiker und Schauſpieler mit Luſt und Liebe und ununterbrochener Befliſſenheit ausfüllen. Wo ſoll man aber das Gleichgewicht finden, welches zum Anhören und Sitzenbleiben gehört, wenn ein ſolch loſeſtes Machwerk von Deutſchen in ihrem Idiom ſo aufgeführt wird, daß man jedesmal, wenn ein Muſikſtück anhebt, ſich verwundert, wo das jetzt herkommt! So wenig wußten ſie Alle — außer Spitzeder — einen Einfall des Komponiſten vorzubereiten. Weder Ironie der Muſik noch Munterkeit, noch eine der Per- ſon angemeſſene Schwerfälligkeit oder Leichtigkeit, Leichtfer- tigkeit; kurz nichts, nichts! Als ob ſie’s gar nicht merkten,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/227>, abgerufen am 21.11.2024.