Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

jene Versöhnung sind unendlich: so hat's kommen müssen?
Nicht meine Schuld. Ich selbst, kann seit dem Juni fast
gar nicht schreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. s. w.
Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep-
tember, zu Bette: in der ersten Zeit Markus noch einen flie-
genden Besuch bei mir: das zweitemal, ich aus dem Bette
zu ihm zurück; und sodann nur sparsam zu Hause. Nun war
ich auch ganz weg, nach seinem Tod. Jetzt fahr' ich aus,
und lebe wie immer: heißt sehr still. Ich hörte vorgestern eine
Händel'sche Musik. Josua. Sehr schön von der Milder. Ich
weinte auch da. Was thut's! Ich bin in Weinen alt ge-
worden. Es wird schon recht sein. Gott ist klüger, als wir! --



-- Den Schmerz des Andern kann man einsehen; fühlen
kann immer nur jeder auf seiner Stelle. Und so soll's ja sein,
bei der Personeneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt,
der Erde, dem Nachdenken, dem Lesen etc. wiedergegeben: mit
dem neuen Riß in Herz und Geist. So soll es sein! Meine
geringe Gesundheit hatte sehr gelitten: und die wird auch mit
ihren Rissen, so weiter taumeln. Mir scheint endlich das Re-
sultat des ganzen hiesigen Lebens für den Geist nur dies: --
ich soll lernen, eine ganz andere Voraussetzung für die Exi-
stenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün-
den ist. Und da ich sie gar nicht zu machen im Stande bin,
so kann sie das Hertlichste, Göttlichste sein! Das ist mein
Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuversicht
auf den Geist, der meinen schaffen konnte und wollte! Lauter
irdische Worte indessen: bis wir das allerklärende gesunden

jene Verſöhnung ſind unendlich: ſo hat’s kommen müſſen?
Nicht meine Schuld. Ich ſelbſt, kann ſeit dem Juni faſt
gar nicht ſchreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. ſ. w.
Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep-
tember, zu Bette: in der erſten Zeit Markus noch einen flie-
genden Beſuch bei mir: das zweitemal, ich aus dem Bette
zu ihm zurück; und ſodann nur ſparſam zu Hauſe. Nun war
ich auch ganz weg, nach ſeinem Tod. Jetzt fahr’ ich aus,
und lebe wie immer: heißt ſehr ſtill. Ich hörte vorgeſtern eine
Händel’ſche Muſik. Joſua. Sehr ſchön von der Milder. Ich
weinte auch da. Was thut’s! Ich bin in Weinen alt ge-
worden. Es wird ſchon recht ſein. Gott iſt klüger, als wir! —



— Den Schmerz des Andern kann man einſehen; fühlen
kann immer nur jeder auf ſeiner Stelle. Und ſo ſoll’s ja ſein,
bei der Perſoneneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt,
der Erde, dem Nachdenken, dem Leſen ꝛc. wiedergegeben: mit
dem neuen Riß in Herz und Geiſt. So ſoll es ſein! Meine
geringe Geſundheit hatte ſehr gelitten: und die wird auch mit
ihren Riſſen, ſo weiter taumeln. Mir ſcheint endlich das Re-
ſultat des ganzen hieſigen Lebens für den Geiſt nur dies: —
ich ſoll lernen, eine ganz andere Vorausſetzung für die Exi-
ſtenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün-
den iſt. Und da ich ſie gar nicht zu machen im Stande bin,
ſo kann ſie das Hertlichſte, Göttlichſte ſein! Das iſt mein
Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuverſicht
auf den Geiſt, der meinen ſchaffen konnte und wollte! Lauter
irdiſche Worte indeſſen: bis wir das allerklärende geſunden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0271" n="263"/>
jene Ver&#x017F;öhnung &#x017F;ind unendlich: <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> hat&#x2019;s kommen mü&#x017F;&#x017F;en?<lb/>
Nicht <hi rendition="#g">meine</hi> Schuld. Ich &#x017F;elb&#x017F;t, kann &#x017F;eit dem Juni fa&#x017F;t<lb/><hi rendition="#g">gar</hi> nicht &#x017F;chreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. &#x017F;. w.<lb/>
Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep-<lb/>
tember, zu Bette: in der er&#x017F;ten Zeit Markus noch einen flie-<lb/>
genden Be&#x017F;uch <hi rendition="#g">bei mir</hi>: das zweitemal, ich aus dem Bette<lb/>
zu ihm zurück; und &#x017F;odann nur &#x017F;par&#x017F;am zu Hau&#x017F;e. Nun war<lb/>
ich auch ganz weg, nach &#x017F;einem Tod. Jetzt fahr&#x2019; ich aus,<lb/>
und lebe wie immer: heißt &#x017F;ehr &#x017F;till. Ich hörte vorge&#x017F;tern eine<lb/>
Händel&#x2019;&#x017F;che Mu&#x017F;ik. Jo&#x017F;ua. Sehr &#x017F;chön von der Milder. Ich<lb/>
weinte auch da. Was thut&#x2019;s! Ich bin in Weinen alt ge-<lb/>
worden. Es wird &#x017F;chon recht &#x017F;ein. Gott i&#x017F;t klüger, als wir! &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <p>&#x2014; Den Schmerz des Andern kann man ein&#x017F;ehen; fühlen<lb/>
kann immer nur jeder auf &#x017F;einer Stelle. Und &#x017F;o &#x017F;oll&#x2019;s ja &#x017F;ein,<lb/>
bei der Per&#x017F;oneneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt,<lb/>
der Erde, dem Nachdenken, dem Le&#x017F;en &#xA75B;c. wiedergegeben: mit<lb/>
dem neuen Riß in Herz und Gei&#x017F;t. So &#x017F;oll es &#x017F;ein! Meine<lb/>
geringe Ge&#x017F;undheit hatte &#x017F;ehr gelitten: und die wird auch mit<lb/><hi rendition="#g">ihren</hi> Ri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o weiter taumeln. Mir &#x017F;cheint endlich das Re-<lb/>
&#x017F;ultat des ganzen hie&#x017F;igen Lebens für den Gei&#x017F;t nur dies: &#x2014;<lb/>
ich &#x017F;oll lernen, eine ganz andere Voraus&#x017F;etzung für die Exi-<lb/>
&#x017F;tenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün-<lb/>
den i&#x017F;t. Und da ich &#x017F;ie gar nicht zu machen im Stande bin,<lb/>
&#x017F;o kann &#x017F;ie das Hertlich&#x017F;te, Göttlich&#x017F;te &#x017F;ein! Das i&#x017F;t mein<lb/>
Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuver&#x017F;icht<lb/>
auf den Gei&#x017F;t, der meinen &#x017F;chaffen konnte und wollte! Lauter<lb/>
irdi&#x017F;che Worte inde&#x017F;&#x017F;en: bis wir das allerklärende ge&#x017F;unden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0271] jene Verſöhnung ſind unendlich: ſo hat’s kommen müſſen? Nicht meine Schuld. Ich ſelbſt, kann ſeit dem Juni faſt gar nicht ſchreiben. Rheuma in den Händen, Igel u. ſ. w. Zweimal war ich in fünf Wochen, Ende Juli und im Sep- tember, zu Bette: in der erſten Zeit Markus noch einen flie- genden Beſuch bei mir: das zweitemal, ich aus dem Bette zu ihm zurück; und ſodann nur ſparſam zu Hauſe. Nun war ich auch ganz weg, nach ſeinem Tod. Jetzt fahr’ ich aus, und lebe wie immer: heißt ſehr ſtill. Ich hörte vorgeſtern eine Händel’ſche Muſik. Joſua. Sehr ſchön von der Milder. Ich weinte auch da. Was thut’s! Ich bin in Weinen alt ge- worden. Es wird ſchon recht ſein. Gott iſt klüger, als wir! — — Den Schmerz des Andern kann man einſehen; fühlen kann immer nur jeder auf ſeiner Stelle. Und ſo ſoll’s ja ſein, bei der Perſoneneinrichtung! Ich bin aber ganz der Welt, der Erde, dem Nachdenken, dem Leſen ꝛc. wiedergegeben: mit dem neuen Riß in Herz und Geiſt. So ſoll es ſein! Meine geringe Geſundheit hatte ſehr gelitten: und die wird auch mit ihren Riſſen, ſo weiter taumeln. Mir ſcheint endlich das Re- ſultat des ganzen hieſigen Lebens für den Geiſt nur dies: — ich ſoll lernen, eine ganz andere Vorausſetzung für die Exi- ſtenz überhaupt machen, als hier nur irgend eine zu ergrün- den iſt. Und da ich ſie gar nicht zu machen im Stande bin, ſo kann ſie das Hertlichſte, Göttlichſte ſein! Das iſt mein Paradies, mein Himmel, meine Hoffnung, meine Zuverſicht auf den Geiſt, der meinen ſchaffen konnte und wollte! Lauter irdiſche Worte indeſſen: bis wir das allerklärende geſunden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/271
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/271>, abgerufen am 22.11.2024.