Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar- tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen fühlte zu entsprechen (d'y repondre); weil ich erst den Sonn- abend einen Brief erhalten kann. Das wissen nur Sie: auch Varnh, habe ich vorgestern nur mit dem Versprechen abreisen lassen, daß ich wahrscheinlich Ihrer theuren Einladung folgen würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer- ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth er darauf setzt. Alles müßt' ich, nach seinem ewigen Zureden und Ermahnen, stehen und liegen lassen, und diesem er- wünschten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Besse- res nicht zukommen kann. Richtigst! Sage auch ich. Ich hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorschlag gemacht; worauf ich Antwort haben muß; dessen Grund und Umstände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie selbst, theure verehrte Freundin, wissen ob ich Ihnen dankbar bin: und ob ich einzusehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen der Ihrigen für mich haben soll! "Freunde! Gleichgesinnte!" ruft Goethe die seinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich nie ein Ausruf durchdrungen. Er ist eine Definition: und sie war schon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen -- charite, Liebe -- haben wir und sollen wir haben für jede Art von Menschen, und Kreaturen. Freundschaft, Hochhaltung, Über- einkunft, können wir nur haben für "Gleichgesinnte." Von denen wir wissen, daß sie die großen Hauptpunkte unwandel- bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn- lust, auch keinen Augenblick, diese großen Punkte stört, gefährdet, oder unterbricht. Dann ist alles richtig. Geist.
Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar- tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen fühlte zu entſprechen (d’y répondre); weil ich erſt den Sonn- abend einen Brief erhalten kann. Das wiſſen nur Sie: auch Varnh, habe ich vorgeſtern nur mit dem Verſprechen abreiſen laſſen, daß ich wahrſcheinlich Ihrer theuren Einladung folgen würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer- ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth er darauf ſetzt. Alles müßt’ ich, nach ſeinem ewigen Zureden und Ermahnen, ſtehen und liegen laſſen, und dieſem er- wünſchten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Beſſe- res nicht zukommen kann. Richtigſt! Sage auch ich. Ich hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorſchlag gemacht; worauf ich Antwort haben muß; deſſen Grund und Umſtände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie ſelbſt, theure verehrte Freundin, wiſſen ob ich Ihnen dankbar bin: und ob ich einzuſehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen der Ihrigen für mich haben ſoll! „Freunde! Gleichgeſinnte!“ ruft Goethe die ſeinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich nie ein Ausruf durchdrungen. Er iſt eine Definition: und ſie war ſchon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen — charité, Liebe — haben wir und ſollen wir haben für jede Art von Menſchen, und Kreaturen. Freundſchaft, Hochhaltung, Über- einkunft, können wir nur haben für „Gleichgeſinnte.“ Von denen wir wiſſen, daß ſie die großen Hauptpunkte unwandel- bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn- luſt, auch keinen Augenblick, dieſe großen Punkte ſtört, gefährdet, oder unterbricht. Dann iſt alles richtig. Geiſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0294"n="286"/>
Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar-<lb/>
tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen<lb/>
fühlte zu entſprechen (<hirendition="#aq">d’y répondre</hi>); weil ich erſt den Sonn-<lb/>
abend einen Brief erhalten kann. Das wiſſen nur Sie: auch<lb/>
Varnh, habe ich vorgeſtern nur mit dem Verſprechen abreiſen<lb/>
laſſen, daß ich wahrſcheinlich Ihrer theuren Einladung folgen<lb/>
würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer-<lb/>
ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth<lb/>
er darauf ſetzt. <hirendition="#g">Alles</hi> müßt’ ich, nach ſeinem ewigen Zureden<lb/>
und Ermahnen, ſtehen und liegen laſſen, und <hirendition="#g">dieſem</hi> er-<lb/>
wünſchten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Beſſe-<lb/>
res <hirendition="#g">nicht</hi> zukommen kann. Richtigſt! Sage auch ich. Ich<lb/>
hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorſchlag<lb/>
gemacht; worauf ich Antwort haben muß; deſſen Grund und<lb/>
Umſtände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie ſelbſt,<lb/>
theure verehrte Freundin, wiſſen ob ich Ihnen dankbar bin:<lb/>
und ob ich einzuſehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen<lb/>
der <hirendition="#g">Ihrigen</hi> für mich haben ſoll! „Freunde! Gleichgeſinnte!“<lb/>
ruft Goethe die ſeinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich<lb/>
nie ein Ausruf durchdrungen. Er iſt eine Definition: und ſie<lb/>
war ſchon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen —<hirendition="#aq">charité,</hi><lb/>
Liebe — haben wir und ſollen wir haben für jede Art von<lb/>
Menſchen, und Kreaturen. Freundſchaft, Hochhaltung, Über-<lb/>
einkunft, können wir nur haben für „Gleichgeſinnte.“ Von<lb/>
denen wir wiſſen, daß ſie die großen Hauptpunkte unwandel-<lb/>
bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn-<lb/>
luſt, auch keinen <hirendition="#g">Augenblick, dieſe</hi> großen Punkte ſtört,<lb/>
gefährdet, oder <hirendition="#g">unterbricht</hi>. Dann iſt alles richtig. Geiſt.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[286/0294]
Ich hätte gewiß noch einige Tage mit meiner Antwort gewar-
tet, wenn ich nicht Ihren treuen Antworten mich gezwungen
fühlte zu entſprechen (d’y répondre); weil ich erſt den Sonn-
abend einen Brief erhalten kann. Das wiſſen nur Sie: auch
Varnh, habe ich vorgeſtern nur mit dem Verſprechen abreiſen
laſſen, daß ich wahrſcheinlich Ihrer theuren Einladung folgen
würde. Sie glauben es gewiß nicht, können es auch nie mer-
ken, welchen Werth, welchen wichtigen, ja gerührten Werth
er darauf ſetzt. Alles müßt’ ich, nach ſeinem ewigen Zureden
und Ermahnen, ſtehen und liegen laſſen, und dieſem er-
wünſchten Leben und theuren Rufe gleich folgen: da mir Beſſe-
res nicht zukommen kann. Richtigſt! Sage auch ich. Ich
hatte aber vorher meinem Bruder Ludwig einen Vorſchlag
gemacht; worauf ich Antwort haben muß; deſſen Grund und
Umſtände ich Ihnen mündlich vertrauen werde. Sie ſelbſt,
theure verehrte Freundin, wiſſen ob ich Ihnen dankbar bin:
und ob ich einzuſehen weiß, welchen Werth das Wohlwollen
der Ihrigen für mich haben ſoll! „Freunde! Gleichgeſinnte!“
ruft Goethe die ſeinigen in einer Elegie an. Tiefer hat mich
nie ein Ausruf durchdrungen. Er iſt eine Definition: und ſie
war ſchon ganz fertig in meiner Seele. Wohlwollen — charité,
Liebe — haben wir und ſollen wir haben für jede Art von
Menſchen, und Kreaturen. Freundſchaft, Hochhaltung, Über-
einkunft, können wir nur haben für „Gleichgeſinnte.“ Von
denen wir wiſſen, daß ſie die großen Hauptpunkte unwandel-
bar mit uns wollen, daß nie eine Eitelkeit oder eine Gewinn-
luſt, auch keinen Augenblick, dieſe großen Punkte ſtört,
gefährdet, oder unterbricht. Dann iſt alles richtig. Geiſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/294>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.