Sie sind aus dem Gedicht, mit dem er die Glocke aufführen ließ. Ich vergötterte Schiller aus diesem Theile, weil er eine lehrsame Seele war, und all seinen Geist dazu gebrauchte; vortrefflichen Treffer hatte, -- darin bestand für mich sein Talent: dies vergötterte ich z. B. in einem Gedicht: die Schlacht. Fest antik in modernster Form, und Stoff: tief ergreifend, weil die Sache in ihrer Einfachheit erfaßt, eben dadurch ihren Graus, die Unabänderlichkeit zeigt. Undenklich schön! So liebt' ich "Melancholie an Laura," alle an Laura; eines, wo er den Frühling "Lieber Jüngling" anredete. Ich liebte ihn ganz: war voller Freude, ihn so liebeswerth und wür- dig zu finden. Aber da kommt Goethe mit seiner Macht, seinen Zeilen, seiner Vollendung und Vorstellung, Denken, Reife, Vollendung und Gewalt des Ausdrucks, kampfgekämpf- ter Weisheit, beschauender überschauender Melancholie, weiser ausgerungener Heiterkeit, mit seiner vue d'oiseau, mit seinem Sternenblick, auf deutsch -- von einem Stern herab --, mit der Götterbrust, an der man nicht allein ruht, sondern Ruhe findet, -- und allen andern Dichtern fehlt etwas; -- Großes. Kein Wunder, daß man noch täglich ihn expliziren muß: nach Maß der Gaben jedes seiner Zeitgenossen wird er nur gefaßt; wie die Welt selbst: und doch kränkt, echauffirt's je- desmal. -- Bartholdy setzte Shakespear's Weiber, gegen mich und seine tapfre tieffühlende Frau, über Goethens. Er sprach Hymnen über Shakespear: Gutes. Ich konnte Goethen nicht loben: es gingen mir meine eignen Gedanken in das Herz. Weil ein von allem Wissender (Professor aus --), und dem doch das Letzte und Erste nicht in sich Gefundenes war, da
Sie ſind aus dem Gedicht, mit dem er die Glocke aufführen ließ. Ich vergötterte Schiller aus dieſem Theile, weil er eine lehrſame Seele war, und all ſeinen Geiſt dazu gebrauchte; vortrefflichen Treffer hatte, — darin beſtand für mich ſein Talent: dies vergötterte ich z. B. in einem Gedicht: die Schlacht. Feſt antik in modernſter Form, und Stoff: tief ergreifend, weil die Sache in ihrer Einfachheit erfaßt, eben dadurch ihren Graus, die Unabänderlichkeit zeigt. Undenklich ſchön! So liebt’ ich „Melancholie an Laura,“ alle an Laura; eines, wo er den Frühling „Lieber Jüngling“ anredete. Ich liebte ihn ganz: war voller Freude, ihn ſo liebeswerth und wür- dig zu finden. Aber da kommt Goethe mit ſeiner Macht, ſeinen Zeilen, ſeiner Vollendung und Vorſtellung, Denken, Reife, Vollendung und Gewalt des Ausdrucks, kampfgekämpf- ter Weisheit, beſchauender überſchauender Melancholie, weiſer ausgerungener Heiterkeit, mit ſeiner vue d’oiseau, mit ſeinem Sternenblick, auf deutſch — von einem Stern herab —, mit der Götterbruſt, an der man nicht allein ruht, ſondern Ruhe findet, — und allen andern Dichtern fehlt etwas; — Großes. Kein Wunder, daß man noch täglich ihn expliziren muß: nach Maß der Gaben jedes ſeiner Zeitgenoſſen wird er nur gefaßt; wie die Welt ſelbſt: und doch kränkt, echauffirt’s je- desmal. — Bartholdy ſetzte Shakeſpear’s Weiber, gegen mich und ſeine tapfre tieffühlende Frau, über Goethens. Er ſprach Hymnen über Shakeſpear: Gutes. Ich konnte Goethen nicht loben: es gingen mir meine eignen Gedanken in das Herz. Weil ein von allem Wiſſender (Profeſſor aus —), und dem doch das Letzte und Erſte nicht in ſich Gefundenes war, da
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Sie ſind aus dem Gedicht, mit dem er die Glocke aufführen
ließ. Ich vergötterte Schiller aus dieſem Theile, weil er eine
lehrſame Seele war, und all ſeinen Geiſt dazu gebrauchte;
vortrefflichen Treffer hatte, — darin beſtand für mich ſein
Talent: dies vergötterte ich z. B. in einem Gedicht: die Schlacht.
Feſt antik in modernſter Form, und Stoff: tief ergreifend,
weil die Sache in ihrer Einfachheit erfaßt, eben dadurch ihren
Graus, die Unabänderlichkeit zeigt. Undenklich ſchön! So
liebt’ ich „Melancholie an Laura,“ alle an Laura; eines,
wo er den Frühling „Lieber Jüngling“ anredete. Ich liebte
ihn ganz: war voller Freude, ihn ſo liebeswerth und wür-
dig zu finden. Aber da kommt Goethe mit ſeiner Macht,
ſeinen Zeilen, ſeiner Vollendung und Vorſtellung, Denken,
Reife, Vollendung und Gewalt des Ausdrucks, kampfgekämpf-
ter Weisheit, beſchauender überſchauender Melancholie, weiſer
ausgerungener Heiterkeit, mit ſeiner vue d’oiseau, mit ſeinem
Sternenblick, auf deutſch — von einem Stern herab —, mit
der Götterbruſt, an der man nicht allein ruht, ſondern Ruhe
findet, — und allen andern Dichtern fehlt etwas; — Großes.
Kein Wunder, daß man noch täglich ihn expliziren muß:
nach Maß der Gaben jedes ſeiner Zeitgenoſſen wird er nur
gefaßt; wie die Welt ſelbſt: und doch kränkt, echauffirt’s je-
desmal. — Bartholdy ſetzte Shakeſpear’s Weiber, gegen mich
und ſeine tapfre tieffühlende Frau, über Goethens. Er ſprach
Hymnen über Shakeſpear: Gutes. Ich konnte Goethen nicht
loben: es gingen mir meine eignen Gedanken in das Herz.
Weil ein von allem Wiſſender (Profeſſor aus —), und dem
doch das Letzte und Erſte nicht in ſich Gefundenes war, da
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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