Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

saß, und doch den redlichsten, bequemsten, alt aufgespeicherten,
schon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder
in die erste Materie zurückzuführen: und da verstummte ich
bald. Immer unrecht: immer falsch. Was habe ich nur
schon zu Tage gesprochen, zurecht geredet. Eigentlich mensch-
lichste Pflicht. Geister haben kein Eigenthum: und ihr
Mensch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Menschen,
sie müssen immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. "Der
Onkel soll leben, hoch!" Gestern wurde sie sehr verdrießlich,
daß du noch nicht kommst. Eile dich nur nicht, Augüstle! --
Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta
so schön wohnen. Das hübsche Fräulein Nichte kenne ich.
Grüße die Damen gütigst: grüße den lieben Oken. Mit Freu-
den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas
Bier für ihn. Den sähe ich gerne in äußerst guter Lage.
Er ist, im besten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir.
Mittelpunktsanlage. Je me flatte moi-meme, comme vous
voyez.
Was kann ich dafür?!

Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der
König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein
trat, und sagen mußte: "Ich bin der K. v. B." dann auf
und ab gehend zu Goethen sagte: "Haben Sie noch ein Plätz-
chen an Ihrer Brust zu einem Orden?" Ich gab Gans den
Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab
ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim Essen; er wollte halb 6
reisen. Er schrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An-
dern. --



ſaß, und doch den redlichſten, bequemſten, alt aufgeſpeicherten,
ſchon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder
in die erſte Materie zurückzuführen: und da verſtummte ich
bald. Immer unrecht: immer falſch. Was habe ich nur
ſchon zu Tage geſprochen, zurecht geredet. Eigentlich menſch-
lichſte Pflicht. Geiſter haben kein Eigenthum: und ihr
Menſch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Menſchen,
ſie müſſen immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. „Der
Onkel ſoll leben, hoch!“ Geſtern wurde ſie ſehr verdrießlich,
daß du noch nicht kommſt. Eile dich nur nicht, Augüſtle! —
Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta
ſo ſchön wohnen. Das hübſche Fräulein Nichte kenne ich.
Grüße die Damen gütigſt: grüße den lieben Oken. Mit Freu-
den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas
Bier für ihn. Den ſähe ich gerne in äußerſt guter Lage.
Er iſt, im beſten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir.
Mittelpunktsanlage. Je me flatte moi-même, comme vous
voyez.
Was kann ich dafür?!

Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der
König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein
trat, und ſagen mußte: „Ich bin der K. v. B.“ dann auf
und ab gehend zu Goethen ſagte: „Haben Sie noch ein Plätz-
chen an Ihrer Bruſt zu einem Orden?“ Ich gab Gans den
Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab
ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim Eſſen; er wollte halb 6
reiſen. Er ſchrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An-
dern. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0309" n="301"/>
&#x017F;aß, und doch den redlich&#x017F;ten, bequem&#x017F;ten, alt aufge&#x017F;peicherten,<lb/>
&#x017F;chon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder<lb/>
in die er&#x017F;te Materie zurückzuführen: und da ver&#x017F;tummte ich<lb/>
bald. <hi rendition="#g">Immer</hi> unrecht: <hi rendition="#g">immer</hi> fal&#x017F;ch. Was habe <hi rendition="#g">ich</hi> nur<lb/>
&#x017F;chon zu Tage ge&#x017F;prochen, zurecht geredet. Eigentlich men&#x017F;ch-<lb/>
lich&#x017F;te <hi rendition="#g">Pflicht</hi>. Gei&#x017F;ter haben kein Eigenthum: und ihr<lb/>
Men&#x017F;ch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Men&#x017F;chen,<lb/>
&#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. &#x201E;Der<lb/>
Onkel &#x017F;oll leben, <hi rendition="#g">hoch</hi>!&#x201C; Ge&#x017F;tern wurde &#x017F;ie &#x017F;ehr verdrießlich,<lb/>
daß du noch nicht komm&#x017F;t. Eile dich nur nicht, Augü&#x017F;tle! &#x2014;<lb/>
Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön wohnen. Das hüb&#x017F;che Fräulein Nichte kenne ich.<lb/>
Grüße die Damen gütig&#x017F;t: grüße den lieben Oken. Mit Freu-<lb/>
den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas<lb/>
Bier für ihn. <hi rendition="#g">Den</hi> &#x017F;ähe ich gerne in äußer&#x017F;t guter Lage.<lb/>
Er i&#x017F;t, im be&#x017F;ten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir.<lb/>
Mittelpunktsanlage. <hi rendition="#aq">Je me flatte moi-même, comme vous<lb/>
voyez.</hi> Was kann <hi rendition="#g">ich</hi> dafür?!</p><lb/>
            <p>Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der<lb/>
König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein<lb/>
trat, und &#x017F;agen mußte: &#x201E;Ich bin der K. v. B.&#x201C; dann auf<lb/>
und ab gehend zu Goethen &#x017F;agte: &#x201E;Haben Sie noch ein Plätz-<lb/>
chen an Ihrer Bru&#x017F;t zu einem Orden?&#x201C; <hi rendition="#g">Ich</hi> gab Gans den<lb/>
Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab<lb/>
ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim E&#x017F;&#x017F;en; er wollte halb 6<lb/>
rei&#x017F;en. Er &#x017F;chrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An-<lb/>
dern. &#x2014;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0309] ſaß, und doch den redlichſten, bequemſten, alt aufgeſpeicherten, ſchon fabrizirten Antheil nahm. Nichts war bei dem wieder in die erſte Materie zurückzuführen: und da verſtummte ich bald. Immer unrecht: immer falſch. Was habe ich nur ſchon zu Tage geſprochen, zurecht geredet. Eigentlich menſch- lichſte Pflicht. Geiſter haben kein Eigenthum: und ihr Menſch gehört ihnen nicht mehr an, als alle andre Menſchen, ſie müſſen immer arbeiten. Nun will ich Kaffee trinken. „Der Onkel ſoll leben, hoch!“ Geſtern wurde ſie ſehr verdrießlich, daß du noch nicht kommſt. Eile dich nur nicht, Augüſtle! — Nach dem Kaffee. Ich freue mich, daß Lindner und Cotta ſo ſchön wohnen. Das hübſche Fräulein Nichte kenne ich. Grüße die Damen gütigſt: grüße den lieben Oken. Mit Freu- den denke ich noch an das von mir glücklich erfundene Glas Bier für ihn. Den ſähe ich gerne in äußerſt guter Lage. Er iſt, im beſten Sinn, leidensfähig. Große Eloge bei mir. Mittelpunktsanlage. Je me flatte moi-même, comme vous voyez. Was kann ich dafür?! Denk dir! Gans war bei Goethen im Zimmer, als der König von Baiern mit vier Pferden vorfuhr extra; hinein trat, und ſagen mußte: „Ich bin der K. v. B.“ dann auf und ab gehend zu Goethen ſagte: „Haben Sie noch ein Plätz- chen an Ihrer Bruſt zu einem Orden?“ Ich gab Gans den Brief an Frau von Goethe. In der größten Migraine gab ich ihm den Glücksbrief! Mittags beim Eſſen; er wollte halb 6 reiſen. Er ſchrieb mir nicht einmal! ich weiß dies von An- dern. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/309
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/309>, abgerufen am 18.06.2024.