nicht handlen läßt. Aber das Dasein spielt aus einem an- dern Ton. Die Spekulation: nämlich, das Ergründen höheren Zusammenhangs, als den wir kennen können.
Dies glaub' ich. R.
(Mündlich.)
Ein geistreiches Fräulein, in ihrem Kreise seit langen Jah- ren wegen ihrer unerschöpflichen Witzworte und scharfen Wort- spiele berühmt, heirathete endlich einen sehr wackeren jungen Mann, den ihre Lebhaftigkeit sehr angezogen hatte. Nach einiger Zeit sprach man gelegentlich von diesem Paare man- ches Günstige. "Aber sie ist gar nicht witzig mehr!" bemerkte jemand. -- "Was hat sie noch nöthig, witzig zu sein, fiel Rahel lebhaft ein, sie ist ja glücklich!"
Den 25. März 1828.
An Adelheid Fürstin von Carolath.
Dienstag Vormittag, den 26. März 1828. 12 Uhr.
Dichter, großflockiger Schnee, von Nordost getrieben.
Theures, liebes, herzvolles, hier geliebtes Adelheidchen! Sehen Sie, liebe Fürstin, an dieser überströmenden Anrede, wie es bei uns steht. Gleich gestern hätte ich Ihnen geschrie- ben: ich konnte die Gewißheit, Ihnen nichts mehr sagen zu können, nicht ertragen, und hätte das leidige Ersetzungsmittel gleich gebraucht; aber bis 9 Uhr glaubt' ich, jeder Wagen sei der Ihrige. -- Bald kam V. zu mir, dann ich zu ihm: immer Adelheid und Adelheid. Wie Sie sind, was Sie werth
nicht handlen läßt. Aber das Daſein ſpielt aus einem an- dern Ton. Die Spekulation: nämlich, das Ergründen höheren Zuſammenhangs, als den wir kennen können.
Dies glaub’ ich. R.
(Mündlich.)
Ein geiſtreiches Fräulein, in ihrem Kreiſe ſeit langen Jah- ren wegen ihrer unerſchöpflichen Witzworte und ſcharfen Wort- ſpiele berühmt, heirathete endlich einen ſehr wackeren jungen Mann, den ihre Lebhaftigkeit ſehr angezogen hatte. Nach einiger Zeit ſprach man gelegentlich von dieſem Paare man- ches Günſtige. „Aber ſie iſt gar nicht witzig mehr!“ bemerkte jemand. — „Was hat ſie noch nöthig, witzig zu ſein, fiel Rahel lebhaft ein, ſie iſt ja glücklich!“
Den 25. März 1828.
An Adelheid Fürſtin von Carolath.
Dienstag Vormittag, den 26. März 1828. 12 Uhr.
Dichter, großflockiger Schnee, von Nordoſt getrieben.
Theures, liebes, herzvolles, hier geliebtes Adelheidchen! Sehen Sie, liebe Fürſtin, an dieſer überſtrömenden Anrede, wie es bei uns ſteht. Gleich geſtern hätte ich Ihnen geſchrie- ben: ich konnte die Gewißheit, Ihnen nichts mehr ſagen zu können, nicht ertragen, und hätte das leidige Erſetzungsmittel gleich gebraucht; aber bis 9 Uhr glaubt’ ich, jeder Wagen ſei der Ihrige. — Bald kam V. zu mir, dann ich zu ihm: immer Adelheid und Adelheid. Wie Sie ſind, was Sie werth
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nicht handlen läßt. Aber das Daſein ſpielt aus einem an-
dern Ton. Die Spekulation: nämlich, das Ergründen
höheren Zuſammenhangs, als den wir kennen können.
Dies glaub’ ich. R.
(Mündlich.)
Ein geiſtreiches Fräulein, in ihrem Kreiſe ſeit langen Jah-
ren wegen ihrer unerſchöpflichen Witzworte und ſcharfen Wort-
ſpiele berühmt, heirathete endlich einen ſehr wackeren jungen
Mann, den ihre Lebhaftigkeit ſehr angezogen hatte. Nach
einiger Zeit ſprach man gelegentlich von dieſem Paare man-
ches Günſtige. „Aber ſie iſt gar nicht witzig mehr!“ bemerkte
jemand. — „Was hat ſie noch nöthig, witzig zu ſein, fiel
Rahel lebhaft ein, ſie iſt ja glücklich!“
Den 25. März 1828.
An Adelheid Fürſtin von Carolath.
Dienstag Vormittag, den 26. März 1828. 12 Uhr.
Dichter, großflockiger Schnee, von Nordoſt getrieben.
Theures, liebes, herzvolles, hier geliebtes Adelheidchen!
Sehen Sie, liebe Fürſtin, an dieſer überſtrömenden Anrede,
wie es bei uns ſteht. Gleich geſtern hätte ich Ihnen geſchrie-
ben: ich konnte die Gewißheit, Ihnen nichts mehr ſagen zu
können, nicht ertragen, und hätte das leidige Erſetzungsmittel
gleich gebraucht; aber bis 9 Uhr glaubt’ ich, jeder Wagen
ſei der Ihrige. — Bald kam V. zu mir, dann ich zu ihm:
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/340>, abgerufen am 22.11.2024.
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