darein vertiefen und versenken kann. -- Wenn ich erst wissen werde, wie Sie den gegenwärtigen Brief aufgenommen haben, und ob Sie mich nicht etwa zum Tollhause reif erklären, will ich Ihnen alle die Nummern bezeichnen, von denen das hier Ausgesprochene gilt. Vor der Hand be- gnüge ich mich, auf ein einziges zu deuten; es steht S. 136."
Wien, den 22. September 1830.
[Nachher schrieb er noch:]
"Noch immer labe ich mich an dem Buch der Lieder. In Wien ist nur Ein Mensch, der mit mir über diese Gedichte völlig sympathisirt, der Major Pr., V. kennt ihn gewiß. Mit diesem bade ich mich Stun- den lang in diesen melancholischen süßen Gewässern. Das Gedicht, wel- ches Sie loben, ist mir sogar lieber, als das von Schiller über denselben Gegenstand, so sehr ich dies auch immer bewundert habe. Selbst die, welche an wirkliche Gotteslästerung streifen (wie Götter-Dammerung, Fragen u. s. w.) lese ich doch nicht ohne die tiefste Emotion, und klage mich manchmal selbst darüber an, daß ich sie so oft und so gern lese. Solche, wie in dem lyrischen Intermezzo: No. XXXII. und XXXVII. -- möchte ich den ganzen Tag wiederholen hören. In meiner frischesten Jugend war ich nie so auf die Poesie versessen, als heute. Nie würden wir uns besser verstanden haben, und aus vollem Herzen rufe ich mit Ihnen aus: Welche große schöne Ursach muß der Himmel haben, Uns getrennt zu halten?" --
Preßburg, den 18. Oktober 1830.
Donnerstag, den 21. Oktober 1830.
Gestern ist mir klar geworden (Frau von * wollte das Ballet das Milchmädchen nicht sehen, wohl aber das Stück "Lokalposse"!!! bis 8 Uhr, und dann in eine Gesellschaft, wo sie nichts zu holen hatte, als daß vielleicht irgend Einer von ihr beschäftigt scheinen würde; welches um 9 Uhr auch noch Statt gefunden haben würde), daß nur ein generöses Gemüth Theil an Kunst nehmen und Sinn dafür haben kann. Beides entspringt aus einem Quell. Generös ist nur der, den allgemeine Gedanken zu rühren vermögen: wo nicht seine Per-
darein vertiefen und verſenken kann. — Wenn ich erſt wiſſen werde, wie Sie den gegenwärtigen Brief aufgenommen haben, und ob Sie mich nicht etwa zum Tollhauſe reif erklären, will ich Ihnen alle die Nummern bezeichnen, von denen das hier Ausgeſprochene gilt. Vor der Hand be- gnüge ich mich, auf ein einziges zu deuten; es ſteht S. 136.“
Wien, den 22. September 1830.
[Nachher ſchrieb er noch:]
„Noch immer labe ich mich an dem Buch der Lieder. In Wien iſt nur Ein Menſch, der mit mir über dieſe Gedichte völlig ſympathiſirt, der Major Pr., V. kennt ihn gewiß. Mit dieſem bade ich mich Stun- den lang in dieſen melancholiſchen ſüßen Gewäſſern. Das Gedicht, wel- ches Sie loben, iſt mir ſogar lieber, als das von Schiller über denſelben Gegenſtand, ſo ſehr ich dies auch immer bewundert habe. Selbſt die, welche an wirkliche Gottesläſterung ſtreifen (wie Götter-Dammerung, Fragen u. ſ. w.) leſe ich doch nicht ohne die tiefſte Emotion, und klage mich manchmal ſelbſt darüber an, daß ich ſie ſo oft und ſo gern leſe. Solche, wie in dem lyriſchen Intermezzo: No. XXXII. und XXXVII. — möchte ich den ganzen Tag wiederholen hören. In meiner friſcheſten Jugend war ich nie ſo auf die Poeſie verſeſſen, als heute. Nie würden wir uns beſſer verſtanden haben, und aus vollem Herzen rufe ich mit Ihnen aus: Welche große ſchöne Urſach muß der Himmel haben, Uns getrennt zu halten?“ —
Preßburg, den 18. Oktober 1830.
Donnerstag, den 21. Oktober 1830.
Geſtern iſt mir klar geworden (Frau von * wollte das Ballet das Milchmädchen nicht ſehen, wohl aber das Stück „Lokalpoſſe“!!! bis 8 Uhr, und dann in eine Geſellſchaft, wo ſie nichts zu holen hatte, als daß vielleicht irgend Einer von ihr beſchäftigt ſcheinen würde; welches um 9 Uhr auch noch Statt gefunden haben würde), daß nur ein generöſes Gemüth Theil an Kunſt nehmen und Sinn dafür haben kann. Beides entſpringt aus einem Quell. Generös iſt nur der, den allgemeine Gedanken zu rühren vermögen: wo nicht ſeine Per-
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darein vertiefen und verſenken kann. — Wenn ich erſt wiſſen werde, wie
Sie den gegenwärtigen Brief aufgenommen haben, und ob Sie mich
nicht etwa zum Tollhauſe reif erklären, will ich Ihnen alle die Nummern
bezeichnen, von denen das hier Ausgeſprochene gilt. Vor der Hand be-
gnüge ich mich, auf ein einziges zu deuten; es ſteht S. 136.“
Wien, den 22. September 1830.
[Nachher ſchrieb er noch:]
„Noch immer labe ich mich an dem Buch der Lieder. In Wien
iſt nur Ein Menſch, der mit mir über dieſe Gedichte völlig ſympathiſirt,
der Major Pr., V. kennt ihn gewiß. Mit dieſem bade ich mich Stun-
den lang in dieſen melancholiſchen ſüßen Gewäſſern. Das Gedicht, wel-
ches Sie loben, iſt mir ſogar lieber, als das von Schiller über denſelben
Gegenſtand, ſo ſehr ich dies auch immer bewundert habe. Selbſt die, welche
an wirkliche Gottesläſterung ſtreifen (wie Götter-Dammerung,
Fragen u. ſ. w.) leſe ich doch nicht ohne die tiefſte Emotion, und klage
mich manchmal ſelbſt darüber an, daß ich ſie ſo oft und ſo gern leſe.
Solche, wie in dem lyriſchen Intermezzo: No. XXXII. und XXXVII. —
möchte ich den ganzen Tag wiederholen hören. In meiner friſcheſten
Jugend war ich nie ſo auf die Poeſie verſeſſen, als heute. Nie würden
wir uns beſſer verſtanden haben, und aus vollem Herzen rufe ich mit
Ihnen aus: Welche große ſchöne Urſach muß der Himmel haben, Uns
getrennt zu halten?“ —
Preßburg, den 18. Oktober 1830.
Donnerstag, den 21. Oktober 1830.
Geſtern iſt mir klar geworden (Frau von * wollte das
Ballet das Milchmädchen nicht ſehen, wohl aber das Stück
„Lokalpoſſe“!!! bis 8 Uhr, und dann in eine Geſellſchaft,
wo ſie nichts zu holen hatte, als daß vielleicht irgend Einer
von ihr beſchäftigt ſcheinen würde; welches um 9 Uhr auch
noch Statt gefunden haben würde), daß nur ein generöſes
Gemüth Theil an Kunſt nehmen und Sinn dafür haben kann.
Beides entſpringt aus einem Quell. Generös iſt nur der, den
allgemeine Gedanken zu rühren vermögen: wo nicht ſeine Per-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/462>, abgerufen am 30.11.2024.
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