doch noch von meiner Art zu schreiben aussprechen: über das Allermeiste, was darin endlich ausgebildet sein sollte, kann ich -- aus innren, und viel äußren Gründen -- nicht Herr werden; über eines aber, was man gewiß auch dazu rechnet, mag ich nicht Herr werden. Nämlich, ich mag nie eine Rede schreiben, sondern will Gespräche schreiben, wie sie lebendig im Menschen vorgehn, und erst durch Willen, und Kunst -- wenn Sie wollen -- wie ein Herbarium, nach einer immer todten Ordnung hingelegt werden. Aber auch meine Gespräche sind nicht ohne Kunst; d. h. ohne Beurtheilung meiner selbst, ohne Anordnung. Ist ein Schreiben, es sei Buch, Memoire, oder Brief eines Andern nur vollständig gehaltene Rede, so hat es für mich immer einen Beischmack von Mißfallen. Die Ausnahmen, wo es Rede sein soll, gestatte ich, wie ein Anderer.
Das "Sieb im Ohr" lasse ich mir durch den edlen Aus- druck "klassischen Stil" noch nicht nehmen. Solche Natur- gaben existirten vor dem klassischen Stil. (Ich sehe eben, Sie sagten: klassisches Ohr.) Ich glaube noch, das, was ich Sieb nenne, ist nur die Bedingung zum klassischen Ohr. Übri- gens muß ich mich verständigen -- wie die größten Philoso- phen über die Bedeutung ihrer Ausdrücke --. Unter Stil ver- stehe ich niemals den Inhalt, sondern nur die minder oder mehr gebildete, geschickte, angenehme Weise, wie der zu Tage gefördert wird. Schon nicht den Plan, oder die Klarheit des zu Sagenden. Daher lobte ich das fein, und schnell urthei- lende Ohr von Friedrich Schlegel und Heine. Odiöse, schlechte, falsche, grobe Dinge sagen sie beide. Theilen Sie gütigst
doch noch von meiner Art zu ſchreiben ausſprechen: über das Allermeiſte, was darin endlich ausgebildet ſein ſollte, kann ich — aus innren, und viel äußren Gründen — nicht Herr werden; über eines aber, was man gewiß auch dazu rechnet, mag ich nicht Herr werden. Nämlich, ich mag nie eine Rede ſchreiben, ſondern will Geſpräche ſchreiben, wie ſie lebendig im Menſchen vorgehn, und erſt durch Willen, und Kunſt — wenn Sie wollen — wie ein Herbarium, nach einer immer todten Ordnung hingelegt werden. Aber auch meine Geſpräche ſind nicht ohne Kunſt; d. h. ohne Beurtheilung meiner ſelbſt, ohne Anordnung. Iſt ein Schreiben, es ſei Buch, Memoire, oder Brief eines Andern nur vollſtändig gehaltene Rede, ſo hat es für mich immer einen Beiſchmack von Mißfallen. Die Ausnahmen, wo es Rede ſein ſoll, geſtatte ich, wie ein Anderer.
Das „Sieb im Ohr“ laſſe ich mir durch den edlen Aus- druck „klaſſiſchen Stil“ noch nicht nehmen. Solche Natur- gaben exiſtirten vor dem klaſſiſchen Stil. (Ich ſehe eben, Sie ſagten: klaſſiſches Ohr.) Ich glaube noch, das, was ich Sieb nenne, iſt nur die Bedingung zum klaſſiſchen Ohr. Übri- gens muß ich mich verſtändigen — wie die größten Philoſo- phen über die Bedeutung ihrer Ausdrücke —. Unter Stil ver- ſtehe ich niemals den Inhalt, ſondern nur die minder oder mehr gebildete, geſchickte, angenehme Weiſe, wie der zu Tage gefördert wird. Schon nicht den Plan, oder die Klarheit des zu Sagenden. Daher lobte ich das fein, und ſchnell urthei- lende Ohr von Friedrich Schlegel und Heine. Odiöſe, ſchlechte, falſche, grobe Dinge ſagen ſie beide. Theilen Sie gütigſt
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doch noch von meiner Art zu ſchreiben ausſprechen: über das
Allermeiſte, was darin endlich ausgebildet ſein ſollte, kann
ich — aus innren, und viel äußren Gründen — nicht Herr
werden; über eines aber, was man gewiß auch dazu rechnet,
mag ich nicht Herr werden. Nämlich, ich mag nie eine Rede
ſchreiben, ſondern will Geſpräche ſchreiben, wie ſie lebendig
im Menſchen vorgehn, und erſt durch Willen, und Kunſt —
wenn Sie wollen — wie ein Herbarium, nach einer immer
todten Ordnung hingelegt werden. Aber auch meine Geſpräche
ſind nicht ohne Kunſt; d. h. ohne Beurtheilung meiner ſelbſt,
ohne Anordnung. Iſt ein Schreiben, es ſei Buch, Memoire,
oder Brief eines Andern nur vollſtändig gehaltene Rede, ſo
hat es für mich immer einen Beiſchmack von Mißfallen.
Die Ausnahmen, wo es Rede ſein ſoll, geſtatte ich, wie ein
Anderer.
Das „Sieb im Ohr“ laſſe ich mir durch den edlen Aus-
druck „klaſſiſchen Stil“ noch nicht nehmen. Solche Natur-
gaben exiſtirten vor dem klaſſiſchen Stil. (Ich ſehe eben, Sie
ſagten: klaſſiſches Ohr.) Ich glaube noch, das, was ich
Sieb nenne, iſt nur die Bedingung zum klaſſiſchen Ohr. Übri-
gens muß ich mich verſtändigen — wie die größten Philoſo-
phen über die Bedeutung ihrer Ausdrücke —. Unter Stil ver-
ſtehe ich niemals den Inhalt, ſondern nur die minder oder
mehr gebildete, geſchickte, angenehme Weiſe, wie der zu Tage
gefördert wird. Schon nicht den Plan, oder die Klarheit des
zu Sagenden. Daher lobte ich das fein, und ſchnell urthei-
lende Ohr von Friedrich Schlegel und Heine. Odiöſe, ſchlechte,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/465>, abgerufen am 29.11.2024.
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