Gestern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren großen Brief aus Preßburg, -- mir aber keineswegs groß ge- nug. Schnell las ich ihn; weil ich seine Einlage gern auf der Stelle abgeschickt hätte; behielt aber doch noch so viel Besinnung, meinen Brief erst zu endigen, da er doch Bedin- gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging selbst; -- und ich ging gestern triumphirend seit einigen Jah- ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. -- Ich ließ sie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; -- sie war nicht da --, ich ließ sie das Nöthige wissen. -- Da ich sie nun nicht gesehn habe, so will ich von Kleinigkeiten sprechen, das heißt, von andrem.
Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums nicht vergessen, und wiederhole sie wohl täglich -- O! welch amüsanten Busen führ' ich in mir. Das Lebenstheater darin wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her ist! -- Mein Schreiben gliche öfters frischen aromatischen Erdbeeren, an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: sagten Sie einmal; dem bin ich eingeständig. Und nichtsdestoweniger halte ich mich für einen der ersten Kritiker Deutschlands. -- Schauen Sie doch auch in meinen tiefsten Busen; ich scheue mich nicht, die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchstens ist sie ein Irr- thum; und dem kann widersprochen werden. -- Eins muß ich
An Gentz, in Wien.
Dienstag 10 Uhr Morgens, den 26. Oktober 1830.
Feiner Regen in dunſtigem Wetter.
Geſtern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge- nug. Schnell las ich ihn; weil ich ſeine Einlage gern auf der Stelle abgeſchickt hätte; behielt aber doch noch ſo viel Beſinnung, meinen Brief erſt zu endigen, da er doch Bedin- gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging ſelbſt; — und ich ging geſtern triumphirend ſeit einigen Jah- ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ ſie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — ſie war nicht da —, ich ließ ſie das Nöthige wiſſen. — Da ich ſie nun nicht geſehn habe, ſo will ich von Kleinigkeiten ſprechen, das heißt, von andrem.
Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums nicht vergeſſen, und wiederhole ſie wohl täglich — O! welch amüſanten Buſen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her iſt! — Mein Schreiben gliche öfters friſchen aromatiſchen Erdbeeren, an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: ſagten Sie einmal; dem bin ich eingeſtändig. Und nichtsdeſtoweniger halte ich mich für einen der erſten Kritiker Deutſchlands. — Schauen Sie doch auch in meinen tiefſten Buſen; ich ſcheue mich nicht, die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchſtens iſt ſie ein Irr- thum; und dem kann widerſprochen werden. — Eins muß ich
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An Gentz, in Wien.
Dienstag 10 Uhr Morgens, den 26. Oktober 1830.
Feiner Regen in dunſtigem Wetter.
Geſtern Vormittag, Sie Glücklicher, erhielt ich Ihren
großen Brief aus Preßburg, — mir aber keineswegs groß ge-
nug. Schnell las ich ihn; weil ich ſeine Einlage gern auf
der Stelle abgeſchickt hätte; behielt aber doch noch ſo viel
Beſinnung, meinen Brief erſt zu endigen, da er doch Bedin-
gungen hätte enthalten können, unter welchen ich ihn nur
abzugeben gehabt hätte. Ich zog mich fertig an; und ging
ſelbſt; — und ich ging geſtern triumphirend ſeit einigen Jah-
ren wieder zum fünftenmal in der Stadt zu Fuß. — Ich ließ
ſie auf einen Augenblick zu mir herunter bitten; — ſie war
nicht da —, ich ließ ſie das Nöthige wiſſen. — Da ich ſie
nun nicht geſehn habe, ſo will ich von Kleinigkeiten ſprechen,
das heißt, von andrem.
Auch ich, theurer Schmeichelfähiger! habe Ihre Diktums
nicht vergeſſen, und wiederhole ſie wohl täglich — O! welch
amüſanten Buſen führ’ ich in mir. Das Lebenstheater darin
wird immer reicher; nichts vergeht, weil es lange her iſt! —
Mein Schreiben gliche öfters friſchen aromatiſchen Erdbeeren,
an denen aber noch Sand und Wurzlen hingen: ſagten Sie
einmal; dem bin ich eingeſtändig. Und nichtsdeſtoweniger halte
ich mich für einen der erſten Kritiker Deutſchlands. — Schauen
Sie doch auch in meinen tiefſten Buſen; ich ſcheue mich nicht,
die Eitelkeit zu zeigen, die ich hege; höchſtens iſt ſie ein Irr-
thum; und dem kann widerſprochen werden. — Eins muß ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/464>, abgerufen am 30.11.2024.
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