Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die
ich Ihnen nannte, Lady Caledon -- Schwester der Lady Stuart
-- mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch-
tern, und Mad. Goldschmidt aus Hamburg: können Sie diese
Damen grüßen lassen: etwas von ihnen für mich erfahren,
so wird es mich sehr freuen. Die jüngste Caulf. ist begabt,
die älteste schön, die Mutter gut und brav. Lady Cale-
don eine heitere gereiste Engländrin mit allen Vorzügen ih-
rer Nation. Mad. Goldschmidt eine ächte Deutsche. Unend-
lich vielseitig, also von der besten Sorte. Adieu, Liebe! a
revoir.

Ihre
Friederike Varnhagen von Ense.
Künftig R.



Mein Bruder Louis schien mich gar nicht zu verstehen,
als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Kastanienbäumen
beim Zeughause im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen
sagte: der Mensch kann sich eigentlich gar nicht besser machen;
und schien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort
reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußtsein, welches
mir damals klarer erschien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein
Wille, ein bestimmtes Streben sind, an welchem wir nicht
ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer-
den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit ist Redlich-
keit, und eigenste Sitte. Lüge ist Faulheit-Aufschieben. Von
der teuflischen Lüge, die lügen will, hab' ich keinen Begriff,
das ist Unsinn, Phrenesie; Kopfschüttlen, bis das Denken ver-

mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die
ich Ihnen nannte, Lady Caledon — Schweſter der Lady Stuart
— mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch-
tern, und Mad. Goldſchmidt aus Hamburg: können Sie dieſe
Damen grüßen laſſen: etwas von ihnen für mich erfahren,
ſo wird es mich ſehr freuen. Die jüngſte Caulf. iſt begabt,
die älteſte ſchön, die Mutter gut und brav. Lady Cale-
don eine heitere gereiſte Engländrin mit allen Vorzügen ih-
rer Nation. Mad. Goldſchmidt eine ächte Deutſche. Unend-
lich vielſeitig, alſo von der beſten Sorte. Adieu, Liebe! à
revoir.

Ihre
Friederike Varnhagen von Enſe.
Künftig R.



Mein Bruder Louis ſchien mich gar nicht zu verſtehen,
als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Kaſtanienbäumen
beim Zeughauſe im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen
ſagte: der Menſch kann ſich eigentlich gar nicht beſſer machen;
und ſchien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort
reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußtſein, welches
mir damals klarer erſchien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein
Wille, ein beſtimmtes Streben ſind, an welchem wir nicht
ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer-
den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit iſt Redlich-
keit, und eigenſte Sitte. Lüge iſt Faulheit-Aufſchieben. Von
der teufliſchen Lüge, die lügen will, hab’ ich keinen Begriff,
das iſt Unſinn, Phreneſie; Kopfſchüttlen, bis das Denken ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0047" n="39"/>
mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die<lb/>
ich Ihnen nannte, Lady Caledon &#x2014; Schwe&#x017F;ter der Lady Stuart<lb/>
&#x2014; mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch-<lb/>
tern, und Mad. Gold&#x017F;chmidt aus Hamburg: können Sie die&#x017F;e<lb/>
Damen grüßen la&#x017F;&#x017F;en: etwas von ihnen für mich erfahren,<lb/>
&#x017F;o wird es mich &#x017F;ehr freuen. Die jüng&#x017F;te Caulf. i&#x017F;t begabt,<lb/>
die älte&#x017F;te &#x017F;chön, die Mutter gut und brav. Lady Cale-<lb/>
don eine heitere gerei&#x017F;te Engländrin mit allen <hi rendition="#g">Vorzügen</hi> ih-<lb/>
rer Nation. Mad. Gold&#x017F;chmidt eine ächte Deut&#x017F;che. Unend-<lb/>
lich viel&#x017F;eitig, al&#x017F;o von der be&#x017F;ten Sorte. Adieu, Liebe! <hi rendition="#aq">à<lb/>
revoir.</hi></p>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Ihre<lb/>
Friederike Varnhagen von En&#x017F;e.<lb/>
Künftig R.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 20. April 1821.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Mein Bruder Louis &#x017F;chien mich gar nicht zu ver&#x017F;tehen,<lb/>
als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Ka&#x017F;tanienbäumen<lb/>
beim Zeughau&#x017F;e im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen<lb/>
&#x017F;agte: der Men&#x017F;ch kann &#x017F;ich eigentlich gar nicht be&#x017F;&#x017F;er machen;<lb/>
und &#x017F;chien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort<lb/>
reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußt&#x017F;ein, welches<lb/>
mir damals klarer er&#x017F;chien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein<lb/>
Wille, ein be&#x017F;timmtes Streben &#x017F;ind, an welchem wir nicht<lb/>
ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer-<lb/>
den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit i&#x017F;t Redlich-<lb/>
keit, und eigen&#x017F;te Sitte. Lüge i&#x017F;t Faulheit-Auf&#x017F;chieben. Von<lb/>
der teufli&#x017F;chen Lüge, die lügen will, hab&#x2019; ich keinen Begriff,<lb/>
das i&#x017F;t Un&#x017F;inn, Phrene&#x017F;ie; Kopf&#x017F;chüttlen, bis das Denken ver-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0047] mündlich! In London kenne ich nur noch, außer denen, die ich Ihnen nannte, Lady Caledon — Schweſter der Lady Stuart — mit ihrem Mann, Mrs. Caulfield mit ihren zwei Töch- tern, und Mad. Goldſchmidt aus Hamburg: können Sie dieſe Damen grüßen laſſen: etwas von ihnen für mich erfahren, ſo wird es mich ſehr freuen. Die jüngſte Caulf. iſt begabt, die älteſte ſchön, die Mutter gut und brav. Lady Cale- don eine heitere gereiſte Engländrin mit allen Vorzügen ih- rer Nation. Mad. Goldſchmidt eine ächte Deutſche. Unend- lich vielſeitig, alſo von der beſten Sorte. Adieu, Liebe! à revoir. Ihre Friederike Varnhagen von Enſe. Künftig R. Freitag, den 20. April 1821. Mein Bruder Louis ſchien mich gar nicht zu verſtehen, als ich ihm in Karlsruhe Einmal unter den Kaſtanienbäumen beim Zeughauſe im Verlauf mehrerer Gedankenäußerungen ſagte: der Menſch kann ſich eigentlich gar nicht beſſer machen; und ſchien gar zu glauben, ich wollte Schlechtem das Wort reden. Ich wollte aber ein altes tiefes Bewußtſein, welches mir damals klarer erſchien, ausdrücken; nämlich, daß wir ein Wille, ein beſtimmtes Streben ſind, an welchem wir nicht ändern können; welches uns nur klarer, und verworrner wer- den kann: durch Glück oder Arbeit. Nur Arbeit iſt Redlich- keit, und eigenſte Sitte. Lüge iſt Faulheit-Aufſchieben. Von der teufliſchen Lüge, die lügen will, hab’ ich keinen Begriff, das iſt Unſinn, Phreneſie; Kopfſchüttlen, bis das Denken ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/47
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/47>, abgerufen am 21.11.2024.