geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge auf jedem Wege. -- Wir sind gar nicht frei: wie unsinnig wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck kennen: Zweck und Grund ist Eins: und der ist im Erschaffer; weil wir aus solchem Grunde kommen, fühlen wir uns frei: der Zwang ist süß: aber so wie wir einen eignen Zweck erfin- den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent- liche als Hemmung: unser innerstes Wollen nämlich; unsere eigentlichsten Wünsche sind richtig und frei: dies, Eltern und Regierungen überhaupt, spähet nach! "Erlaubt ist, was ge- fällt." Goethe's Tasso.
Unser innerster Wille ist wie eine Pflanze: einfach, be- stimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unser Geist das Be- wußtsein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne.
Stiller Freitag, den 20. April 1821.
In Adams Geschichte wird gesagt, daß seine Ursprache verloren ging. -- Nur sehr schattenartige, oberflächliche, schwin- dende Eigenschaften der Dinge wissen wir mit unserer Sprache anzugeben; und haben doch in unsrer Seele kein ander Mit- tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es ist kein leerer Ausdruck wenn wir sagen, "es will regnen, es will blitzen" u. s. w. Es ist, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns selbst wissen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles unsern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille existirt, aus dem unser Grundwille, wie alle Willen hervor-
geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge auf jedem Wege. — Wir ſind gar nicht frei: wie unſinnig wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck kennen: Zweck und Grund iſt Eins: und der iſt im Erſchaffer; weil wir aus ſolchem Grunde kommen, fühlen wir uns frei: der Zwang iſt ſüß: aber ſo wie wir einen eignen Zweck erfin- den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent- liche als Hemmung: unſer innerſtes Wollen nämlich; unſere eigentlichſten Wünſche ſind richtig und frei: dies, Eltern und Regierungen überhaupt, ſpähet nach! „Erlaubt iſt, was ge- fällt.“ Goethe’s Taſſo.
Unſer innerſter Wille iſt wie eine Pflanze: einfach, be- ſtimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unſer Geiſt das Be- wußtſein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne.
Stiller Freitag, den 20. April 1821.
In Adams Geſchichte wird geſagt, daß ſeine Urſprache verloren ging. — Nur ſehr ſchattenartige, oberflächliche, ſchwin- dende Eigenſchaften der Dinge wiſſen wir mit unſerer Sprache anzugeben; und haben doch in unſrer Seele kein ander Mit- tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es iſt kein leerer Ausdruck wenn wir ſagen, „es will regnen, es will blitzen“ u. ſ. w. Es iſt, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns ſelbſt wiſſen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles unſern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille exiſtirt, aus dem unſer Grundwille, wie alle Willen hervor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0048"n="40"/>
geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge<lb/>
auf jedem Wege. — Wir ſind gar nicht frei: wie unſinnig<lb/>
wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck<lb/>
kennen: Zweck und Grund iſt Eins: und der iſt im Erſchaffer;<lb/>
weil wir aus ſolchem <hirendition="#g">Grunde</hi> kommen, fühlen wir uns frei:<lb/>
der Zwang iſt ſüß: aber ſo wie wir einen eignen Zweck erfin-<lb/>
den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent-<lb/>
liche als Hemmung: unſer innerſtes Wollen nämlich; unſere<lb/>
eigentlichſten Wünſche ſind richtig und frei: dies, Eltern und<lb/>
Regierungen überhaupt, ſpähet nach! „Erlaubt iſt, was ge-<lb/>
fällt.“ Goethe’s Taſſo.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Unſer innerſter Wille iſt wie eine Pflanze: einfach, be-<lb/>ſtimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unſer Geiſt das Be-<lb/>
wußtſein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Stiller Freitag, den 20. April 1821.</hi></dateline><lb/><p>In Adams Geſchichte wird geſagt, daß ſeine Urſprache<lb/>
verloren ging. — Nur ſehr ſchattenartige, oberflächliche, ſchwin-<lb/>
dende Eigenſchaften der Dinge wiſſen wir mit unſerer Sprache<lb/>
anzugeben; und haben doch in unſrer Seele kein ander Mit-<lb/>
tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es iſt kein leerer<lb/>
Ausdruck wenn wir ſagen, „es will regnen, es will blitzen“<lb/>
u. ſ. w. Es iſt, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als<lb/>
durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns ſelbſt<lb/>
wiſſen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles<lb/>
unſern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille<lb/>
exiſtirt, aus dem unſer Grundwille, wie alle Willen hervor-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[40/0048]
geht. Ich kenne auch den Teufel nicht: aber ekle faule Lüge
auf jedem Wege. — Wir ſind gar nicht frei: wie unſinnig
wäre dies auch, und völlig unmöglich, da wir keinen Zweck
kennen: Zweck und Grund iſt Eins: und der iſt im Erſchaffer;
weil wir aus ſolchem Grunde kommen, fühlen wir uns frei:
der Zwang iſt ſüß: aber ſo wie wir einen eignen Zweck erfin-
den und die Freiheit nachahmen wollen, fühlen wir die eigent-
liche als Hemmung: unſer innerſtes Wollen nämlich; unſere
eigentlichſten Wünſche ſind richtig und frei: dies, Eltern und
Regierungen überhaupt, ſpähet nach! „Erlaubt iſt, was ge-
fällt.“ Goethe’s Taſſo.
Unſer innerſter Wille iſt wie eine Pflanze: einfach, be-
ſtimmt: aber ohne Wurzel in der Erde; unſer Geiſt das Be-
wußtſein drüber, wie eine in uns mitgegebene Sonne.
Stiller Freitag, den 20. April 1821.
In Adams Geſchichte wird geſagt, daß ſeine Urſprache
verloren ging. — Nur ſehr ſchattenartige, oberflächliche, ſchwin-
dende Eigenſchaften der Dinge wiſſen wir mit unſerer Sprache
anzugeben; und haben doch in unſrer Seele kein ander Mit-
tel uns zu fragen, noch uns zu antworten. Es iſt kein leerer
Ausdruck wenn wir ſagen, „es will regnen, es will blitzen“
u. ſ. w. Es iſt, eigentlich gedacht, keine Regung möglich, als
durch Willen. Wenn wir auch nicht einmal von uns ſelbſt
wiſſen, wie wir zum Willen kommen, zum Grundwillen alles
unſern Wollens. Ein noch größeres Indiz, daß ein Urwille
exiſtirt, aus dem unſer Grundwille, wie alle Willen hervor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/48>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.