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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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zeugt, die auch schon unterhaltend zu lernen sind. Ich bin
der größte Franzosenleben-Schätzer. Wir gehn, wir Deut-
schen, in lauter Mitteln, in Zukunft, unter. Ich fühle
es heftig; weil ich sehr deutsch darin bin; der gesellige, nur
auf Geselligkeit angewiesene, und nach ihr und ihrer Ausbil-
dung strebende Franzose will im Augenblick scheinen und sein:
scheinen was er ist, und sein möchte. Dringendste Anforde-
rung des nun auf Erden einmal gehemmten Menschenthums!
Ich verstehe das hohe Prinzip, was in dieser Nation unun-
terbrochen, unter allen Gestalten und in allen Augenblicken,
fortwirkt: wie ein heftiger Strom, der aus einer Himmels-
quelle erspringt, geht dies Prinzip -- der dringendste, tiefste
Geselligkeitstrieb; wenn man es bedenkt, höchste Menschenauf-
gabe -- heftig, betriebsam, und manchmal sogar anscheinend
listig, seinen ewigen Weg; hell, breit, gemach, edel, klar, sonn-
erhellt, über schöne Ebnen: aber auch durch Klüfte, Morast,
Höhlen, Gestein, Ruinen, und durch jeden andern Fluß, dem
es begegnet. Wer mag die Hemmungen tadeln, und das
Anfärben davon, -- außer die, die nichts zu sehn verstehen,
und ihre Unfähigkeit Nationalität nennen, Patriotismus. --
Es sind die der Menschheit. Wenn Sie diesen Inbegriff,
den ich Ihnen hier ausgesprochen, bedenken mögen, so wissen
Sie alles, was ich von Franzosen und all ihrem Beginnen
halte und denke. Theilen Sie es Ihrem Sohn mit. Er weiß
doch noch Deutsch? Er kann es seinen Freunden übersetzen.
Den jungen Herrn Lascases kann er von mir grüßen: ich habe
die Ehre von ihm gekannt zu sein: von Baden her. -- Also
auch Sie, meine Liebe, haben eine geschwächte Gesundheit!!!

zeugt, die auch ſchon unterhaltend zu lernen ſind. Ich bin
der größte Franzoſenleben-Schätzer. Wir gehn, wir Deut-
ſchen, in lauter Mitteln, in Zukunft, unter. Ich fühle
es heftig; weil ich ſehr deutſch darin bin; der geſellige, nur
auf Geſelligkeit angewieſene, und nach ihr und ihrer Ausbil-
dung ſtrebende Franzoſe will im Augenblick ſcheinen und ſein:
ſcheinen was er iſt, und ſein möchte. Dringendſte Anforde-
rung des nun auf Erden einmal gehemmten Menſchenthums!
Ich verſtehe das hohe Prinzip, was in dieſer Nation unun-
terbrochen, unter allen Geſtalten und in allen Augenblicken,
fortwirkt: wie ein heftiger Strom, der aus einer Himmels-
quelle erſpringt, geht dies Prinzip — der dringendſte, tiefſte
Geſelligkeitstrieb; wenn man es bedenkt, höchſte Menſchenauf-
gabe — heftig, betriebſam, und manchmal ſogar anſcheinend
liſtig, ſeinen ewigen Weg; hell, breit, gemach, edel, klar, ſonn-
erhellt, über ſchöne Ebnen: aber auch durch Klüfte, Moraſt,
Höhlen, Geſtein, Ruinen, und durch jeden andern Fluß, dem
es begegnet. Wer mag die Hemmungen tadeln, und das
Anfärben davon, — außer die, die nichts zu ſehn verſtehen,
und ihre Unfähigkeit Nationalität nennen, Patriotismus. —
Es ſind die der Menſchheit. Wenn Sie dieſen Inbegriff,
den ich Ihnen hier ausgeſprochen, bedenken mögen, ſo wiſſen
Sie alles, was ich von Franzoſen und all ihrem Beginnen
halte und denke. Theilen Sie es Ihrem Sohn mit. Er weiß
doch noch Deutſch? Er kann es ſeinen Freunden überſetzen.
Den jungen Herrn Lascaſes kann er von mir grüßen: ich habe
die Ehre von ihm gekannt zu ſein: von Baden her. — Alſo
auch Sie, meine Liebe, haben eine geſchwächte Geſundheit!!!

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[492/0500] zeugt, die auch ſchon unterhaltend zu lernen ſind. Ich bin der größte Franzoſenleben-Schätzer. Wir gehn, wir Deut- ſchen, in lauter Mitteln, in Zukunft, unter. Ich fühle es heftig; weil ich ſehr deutſch darin bin; der geſellige, nur auf Geſelligkeit angewieſene, und nach ihr und ihrer Ausbil- dung ſtrebende Franzoſe will im Augenblick ſcheinen und ſein: ſcheinen was er iſt, und ſein möchte. Dringendſte Anforde- rung des nun auf Erden einmal gehemmten Menſchenthums! Ich verſtehe das hohe Prinzip, was in dieſer Nation unun- terbrochen, unter allen Geſtalten und in allen Augenblicken, fortwirkt: wie ein heftiger Strom, der aus einer Himmels- quelle erſpringt, geht dies Prinzip — der dringendſte, tiefſte Geſelligkeitstrieb; wenn man es bedenkt, höchſte Menſchenauf- gabe — heftig, betriebſam, und manchmal ſogar anſcheinend liſtig, ſeinen ewigen Weg; hell, breit, gemach, edel, klar, ſonn- erhellt, über ſchöne Ebnen: aber auch durch Klüfte, Moraſt, Höhlen, Geſtein, Ruinen, und durch jeden andern Fluß, dem es begegnet. Wer mag die Hemmungen tadeln, und das Anfärben davon, — außer die, die nichts zu ſehn verſtehen, und ihre Unfähigkeit Nationalität nennen, Patriotismus. — Es ſind die der Menſchheit. Wenn Sie dieſen Inbegriff, den ich Ihnen hier ausgeſprochen, bedenken mögen, ſo wiſſen Sie alles, was ich von Franzoſen und all ihrem Beginnen halte und denke. Theilen Sie es Ihrem Sohn mit. Er weiß doch noch Deutſch? Er kann es ſeinen Freunden überſetzen. Den jungen Herrn Lascaſes kann er von mir grüßen: ich habe die Ehre von ihm gekannt zu ſein: von Baden her. — Alſo auch Sie, meine Liebe, haben eine geſchwächte Geſundheit!!!

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/500>, abgerufen am 22.11.2024.